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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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teilte ihr mit, daß er heute in New Orleans sein und morgen zurückkommen würde. Er schrieb, daß es ihm leid täte, und sie würden später darüber reden. Er bat sie, nicht zu trinken.
    Die Nachricht legte er auf den Tresen, wo sie sie nicht übersehen konnte. Dann verließ er die Wohnung und fuhr zum Flughafen.
    Der Direktflug nach New Orleans dauerte fünfundfünfzig Minuten. Adam trank Fruchtsaft und versuchte, eine möglichst bequeme Stellung für seinen steifen Rücken zu finden. Er hatte auf dem Fußboden vor der Tür kaum drei Stunden geschlafen, und er schwor sich, das nicht noch einmal zu tun. Ihrem eigenen Eingeständnis zufolge war sie im Laufe der Jahre dreimal rückfällig geworden, und wenn sie nicht imstande war, das Trinken von sich aus zu lassen, dann gab es nichts, was er dagegen tun konnte. Er würde in Memphis bleiben, bis dieser elende Fall erledigt war, und wenn seine Tante nicht nüchtern bleiben konnte, würde er in ein Hotel ziehen.
    Er befahl sich, sie für die nächsten paar Stunden zu vergessen. Er mußte sich auf juristische Belange konzentrieren, nicht auf Lynchmorde und Fotos und Horrorgeschichten aus der Vergangenheit; nicht auf seine liebe Tante und ihre Probleme.
    Die Maschine landete in New Orleans, und plötzlich war die Konzentration da. In Gedanken rasselte er die Namen von Dutzenden von Hinrichtungs-Fällen aus den letzten Jahren herunter, die vor dem Fünften Berufungsgericht und dem Obersten Bundesgericht verhandelt worden waren.
    Der Mietwagen war eine Cadillac-Limousine, die Darlene bestellt hatte und die von Kravitz & Bane bezahlt wurde. Auch ein Fahrer gehörte zum Service, und als Adam es sich auf dem Rücksitz bequem machte, mußte er zugeben, daß die Arbeit in einer großen Firma ihre Vorteile hatte. Adam war noch nie in New Orleans gewesen, und die Fahrt vom Flughafen war kaum anders als in anderen Städten. Nichts als Verkehr und Schnellstraßen. Doch dann bog der Fahrer beim Superdome in die Poydras Street ein, und plötzlich waren sie in der Innenstadt. Er informierte seinen Fahrgast, daß das French Quarter nur ein paar Blocks entfernt war, nicht weit von Adams Hotel. Der Wagen hielt in der Camp Street, und Adam stieg aus und stand vor dem Fünften Bundes-Berufungsgericht. Es war ein beeindruckendes Gebäude mit dorischen Säulen und vielen Stufen, die zum Haupteingang hinaufführten.
    Er betrat die Kanzlei im Erdgeschoß und fragte nach dem Herrn, mit dem er gesprochen hatte, einem Mr. Feriday. Mr. Feriday war persönlich ebenso entgegenkommend und höflich, wie er sich am Telefon angehört hatte. Er trug Adams Namen in eine Liste ein und erläuterte einige der Regeln des Gerichts. Dann fragte er ihn, ob er gern eine schnelle Runde durch das Gebäude machen wollte. Es war fast zwölf, im Augenblick war es relativ ruhig und deshalb der richtige Zeitpunkt für eine Besichtigung. Sie gingen auf die Gerichtssäle zu, vorbei an den Büros der Richter und verschiedener Angestellter.
    »Am Fünften Berufungsgericht arbeiten fünfzehn Richter«, erklärte Mr. Feriday, während sie gemächlich über Marmorfußböden wanderten. »Ihre Büros liegen in diesem Teil des Gebäudes hier. Im Augenblick hat das Gericht drei Vakanzen, und die Nominierungen stecken in Washington fest.« Die Flure waren düster und ruhig, als wären hinter den breiten Holztüren große Geister am Werk.
    Mr. Feriday führte ihn zuerst zu dem Saal, in dem der Gerichtshof zu tagen pflegte, wenn er vollständig zusammentrat, einem großen, einschüchternden Raum mit fünfzehn im Halbkreis aufgestellten Richterstühlen. »Der größte Teil der anfallenden Arbeit wird jeweils einem Gremium aus drei Richtern zugewiesen. Aber manchmal wird ein Fall vor allen fünfzehn Richtern verhandelt«, erklärte er leise, als wäre er noch immer von diesem Raum beeindruckt. Die Stühle der Richter standen auf einem hohen Podium, so daß die Anwälte beim Plädieren zu ihnen hinaufschauen mußten. Der Raum war ganz aus Marmor und dunklem Holz, mit schweren Vorhängen und einem riesigen Kronleuchter. Er war dekorativ, aber nicht prunkvoll, alt, aber tadellos instand gehalten, und als Adam sich darin umsah, war ihm sehr unbehaglich zumute. Es kommt nur sehr selten vor, daß das vollständige Gericht zusammentritt, erklärte Mr. Feriday, als informierte er einen Jurastudenten im ersten Semester. In diesem Saal wurden die großen Bürgerrechts-Entscheidungen der sechziger und siebziger Jahre gefällt, sagte er mit nicht

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