Die Kammer
geringem Stolz. Hinter dem Podium hingen Porträts verstorbener Richter.
Adam hoffte, daß er diesen Raum, so schön und beeindruckend er auch war, niemals wiedersehen würde, zumindest nicht als Anwalt, der einen Mandanten vertrat. Sie gingen den Flur entlang zum Westlichen Gerichtssaal, der kleiner war als der erste, aber fast ebenso beeindruckend. Hier amtieren die Gremien von drei Richtern, erklärte Mr. Feriday, während sie an den Sitzen im Zuschauerteil vorbeigingen und durch die Schranke aufs Podium, das nicht ganz so hoch und lang war wie das im Saal für das volle Gericht.
»Normalerweise finden alle mündlichen Verhandlungen am Vormittag statt, von neun Uhr an«, sagte Mr. Feriday. »Ihr Fall liegt ein wenig anders, weil es dabei um ein Todesurteil geht, dessen Vollstreckung nahe bevorsteht.« Er deutete mit einem gekrümmten Finger auf die Sitze im Hintergrund. »Dort müssen Sie ein paar Minuten vor eins sitzen, bis der Fall aufgerufen wird. Dann kommen Sie durch die Schranke und setzen sich hier an den Anwaltstisch. Sie machen den Anfang, und Sie haben zwanzig Minuten.«
Das wußte Adam, aber es war trotzdem gut, so eingehend informiert zu werden.
Mr. Feriday zeigte auf ein Gerät auf dem Podium, das aussah wie eine Verkehrsampel. »Das ist der Zeitmesser«, sagte er ernst. »Und er ist äußerst wichtig. Zwanzig Minuten, nicht mehr. Es gibt grauenhafte Geschichten von langatmigen Anwälten, die ihn ignoriert haben. Kein schöner Anblick. Grün ist eingeschaltet, während Sie reden. Gelb kommt, wenn Sie gewarnt werden wollen - zwei Minuten, fünf Minuten, dreißig Sekunden oder was auch immer. Wenn Rot kommt, hören Sie auf, notfalls mitten im Satz, und setzen sich. So einfach ist das. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
»Wer sind die Richter?«
»McNeely, Robichaux und Judy.« Er sagte das, als wären alle drei Adam persönlich bekannt. »Da drüben ist ein Wartezimmer, und im dritten Stock finden Sie eine Bibliothek. Seien Sie auf jeden Fall ungefähr zehn Minuten vor eins hier. Sonst noch Fragen?«
»Nein, Sir. Haben Sie vielen Dank.«
»Ich bin in meinem Büro, falls Sie mich brauchen sollten. Viel Glück.« Sie gaben sich die Hand, und Mr. Feriday ging. Adam stand allein auf dem Podium.
Zehn Minuten vor eins ging Adam zum zweitenmal durch die massiven Eichentüren des Westlichen Gerichtssaals und fand mehrere andere Anwälte vor, die sich auf die Schlacht vorbereiteten. In der ersten Reihe hinter der Schranke drängten sich Justizminister Steve Roxburgh und seine Gehilfenschar und planten ihre Taktik. Sie verstummten, als Adam hereinkam, und einige nickten und versuchten zu lächeln. Adam ließ sich auf einem Sitz am Gang nieder und ignorierte sie.
Lucas Mann saß auf ihrer Seite des Gerichtssaals, aber etliche Reihen hinter Roxburgh und seinen Mannen. Er las gelassen eine Zeitung und winkte Adam zu, als ihre Blicke sich trafen. Es war schön, ihn zu sehen. Er war von Kopf bis Fuß in gestärktes, faltenfreies Khaki gekleidet, und seine Krawatte war so grell, daß sie im Dunkeln leuchten mußte. Es war offensichtlich, daß Mann sich vom Fünften Berufungsgericht und seiner Ausstattung nicht im mindesten eingeschüchtert fühlte, und ebenso offensichtlich war, daß er gebührenden Abstand zu Roxburgh hielt. Er war lediglich der Anwalt für Parchman und waltete hier nur seines Amtes. Falls das Fünfte Berufungsgericht einen Aufschub gewähren sollte und Sam nicht starb, würde Lucas Mann sich freuen. Adam nickte und lächelte ihm zu.
Roxburgh und seine Horde steckten wieder die Köpfe zusammen. Morris Henry, Dr. Death, stand im Mittelpunkt und erläuterte geringeren Geistern die Sachlage.
Adam holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen. Es war ziemlich schwierig. Sein Magen krampfte sich zusammen, seine Füße zuckten, und er sagte sich immer wieder, daß es nur zwanzig Minuten dauern würde. Die drei Richter konnten ihn nicht ermorden, sie konnten ihn nur in Verlegenheit bringen, und selbst das nur für zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten lang würde er alles ertragen können. Er schaute auf seine Notizen, und um sich zu beruhigen, versuchte er, an Sam zu denken nicht an Sam den Rassisten, den Mörder, den Mann, der an Lynchmorden teilgenommen hatte, sondern an Sam den Mandanten, den alten Mann, der im Todestrakt dahinsiechte, der ein Recht darauf hatte, in Frieden und Würde zu sterben. Sam war im Begriff, zwanzig Minuten der wertvollen Zeit dieses Gerichts in Anspruch zu nehmen,
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