Die Kammer
Stellen Sie sich vor, Mr. Hall - der vergessene Enkelsohn, der in letzter Minute auf der Bühne erscheint und sich heroisch bemüht, seinem armen alten Großvater zu helfen, dessen Uhr beinahe abgelaufen ist.«
»Irgendwie gefällt mir das.«
»Es ist nicht schlecht. Es wird eine Menge Aufmerksamkeit auf unsere geliebte kleine Firma lenken.«
»Was mich auf ein anderes unangenehmes Thema bringt.«
»Das glaube ich nicht. Bei Kravitz & Bane arbeiten keine Feiglinge. Wir haben in der rauhen und unerbittlichen Welt der Chicagoer Justiz überlebt und Geld gemacht. Wir gelten als die gemeinsten Burschen in der ganzen Stadt. Wir haben das dickste Fell. Machen Sie sich der Firma wegen keine Sorgen.«
»Sie sind also einverstanden?«
Goodman legte seine Serviette auf den Tisch und trank einen weiteren Schluck Kaffee. »Oh, es ist eine wundervolle Idee, vorausgesetzt, Ihr Großvater ist damit einverstanden. Wenn Sie ihn dazu bringen, daß er uns engagiert, richtiger gesagt, von neuem engagiert, dann sind wir wieder im Geschäft. Sie werden der Mann an der vordersten Front sein. Was Sie brauchen, können wir Ihnen von hier aus übermitteln. Ich werde mich im Hintergrund bereithalten. Es wird seinen Gang gehen. Dann werden sie ihn umbringen, und Sie werden nie darüber hinwegkommen. Ich habe drei meiner Mandanten sterben sehen, Mr. Hall, darunter einen in Mississippi. Danach sind Sie nie mehr der, der Sie vorher waren.«
Adam nickte und lächelte und beobachtete die Fußgänger auf dem Gehsteig.
Goodman fuhr fort. »Wir werden dasein und Ihnen beistehen, wenn sie ihn töten. Sie werden es nicht allein durchstehen müssen.«
»Es ist doch nicht hoffnungslos, oder?«
»Fast. Über Strategie reden wir später. Als erstes muß ich mit Daniel Rosen sprechen. Er wird sich wahrscheinlich eingehend mit Ihnen unterhalten wollen. Als zweites müssen Sie Sam aufsuchen und sozusagen ein kleines Familientreffen veranstalten. Das ist der schwierigste Teil. Drittens, wenn er einverstanden ist, machen wir uns an die Arbeit.«
»Danke.«
»Danken Sie mir nicht, Adam. Ich bezweifle, daß wir noch miteinander reden werden, wenn das alles vorbei ist.«
»Ich danke Ihnen trotzdem.«
5
D ie Zusammenkunft wurde rasch anberaumt. E. Garner Goodman tätigte den ersten Anruf, und binnen einer Stunde waren die erforderlichen Teilnehmer im Bilde. Vier Stunden später saßen sie alle zusammen in einem kleinen, wenig benutzten Konferenzzimmer neben Daniel Rosens Büro. Hier war Rosens Terrain, und deshalb machte sich Adam mehr als nur geringfügige Sorgen.
Der Legende nach war Daniel Rosen ein Ungeheuer, obwohl zwei Herzinfarkte ihn etwas abgeschliffen und ein wenig sanfter gemacht hatten. Dreißig Jahre lang war er ein skrupelloser Prozeßanwalt gewesen, der bösartigste, gemeinste und ganz ohne Zweifel einer der erfolgreichsten Advokaten in Chicago. Vor den Herzinfarkten war er berühmt gewesen für sein brutales Arbeitsprogramm - neunzig Stunden pro Woche, Arbeitsorgien um Mitternacht, bei denen Anwaltsgehilfen und Sekretärinnen ihm alles mögliche heraussuchen und anschleppen mußten. Mehrere Ehefrauen hatten ihn verlassen. Vier Sekretärinnen mußten gleichzeitig auf Hochtouren arbeiten, um mit ihm Schritt zu halten. Daniel Rosen war das Herz und die Seele von Kravitz & Bane gewesen, aber das war Vergangenheit. Sein Arzt hatte verlangt, daß er seine Arbeit auf fünfzig Stunden pro Woche reduzierte, und er hatte ihm jede weitere Prozeßarbeit verboten.
Jetzt war Rosen, inzwischen fünfundsechzig Jahre alt und auf dem Wege zur Fettleibigkeit, von seinen geliebten Kollegen einstimmig dazu auserwählt worden, auf den sanfteren Weiden der Verwaltungsgeschäfte zu grasen. Er war für den reibungslosen Ablauf der ziemlich schwerfälligen Bürokratie von Kravitz & Bane verantwortlich. Eine Ehre, hatten die anderen Partner lahm erklärt, als sie ihm diesen Posten übertrugen.
Bisher war diese Ehre eine Katastrophe gewesen. Verbannt von dem Schlachtfeld, das er so inbrünstig liebte und brauchte, betrieb Rosen die Verwaltung der Firma auf eine Art, die sehr viel Ähnlichkeit mit der Vorbereitung eines kostspieligen Prozesses besaß. Er nahm wegen der trivialsten Angelegenheiten Sekretärinnen und Anwaltsgehilfen ins Kreuzverhör. Er legte sich mit den Partnern an und redete wegen nebulöser Probleme der Firmenpolitik stundenlang auf sie ein. Ins Gefängnis seines Büros verbannt, forderte er junge angestellte Anwälte auf, ihn zu besuchen, und
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