Die Kampagne
sie ihm die Tasse reichte, sagte sie: »Wann immer Clint Eastwood in einem Film in den Arm geschossen wird, schütten sie einfach Whiskey drauf, legen den Arm in eine Schlinge, und er schwingt sich auf einen Gaul und reitet in den Sonnenuntergang. Nie zeigen sie, was wirklich passiert, wenn eine Kugel tief ins Fleisch eindringt, hier eine Arterie zerreißt, dort einen Muskel zerfetzt, dann vom Knochen abprallt und schließlich durch die Eingeweide der lieben Katie wandert. Nachdem sie mich endlich von den Geräten abgeklemmt hatten, war ich drei Monate in der Reha. Sie mussten mir ein hübsches Loch in den Rücken schneiden, um das Ding rauszubekommen. Es war platt wie ein Pfannkuchen.«
Shaw setzte sich. Der Anblick der Wunde schien seinen Zorn gemildert zu haben. »Weichmantelgeschoss«, sagte er. »Geschaffen, um durch einen Körper zu wandern und unterwegs alles zu zerstören. Und die Dinger bleiben liebend gerne stecken, mit der Folge, dass ein Chirurg sie irgendwie herausschneiden muss, während man schon so gut wie tot ist.«
Katie schaute ihn über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an. »Wie viele Schusswunden haben Sie? Sie können sie mir ruhig zeigen. Ich werd's keinem verraten.«
»Ein guter plastischer Chirurg könnte die Narbe beseitigen.«
»Ich weiß. Das sollte auch geschehen, kaum dass ich wieder in den Staaten war.«
»Warum hat man es dann nicht gemacht?«
»Ich wollte nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich die Narbe behalten wollte. Reicht Ihnen das als Erklärung?« Katies Gesicht wurde sanfter, und mit ruhigerer Stimme fuhr sie fort: »Sie haben natürlich jedes Recht, wütend auf mich zu sein. Hätten Sie sich in mein Leben gemischt - nicht dass ich im Augenblick eines hätte -, wäre ich genauso sauer. Aber lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich wirklich nur helfen wollte. Sie haben sich eine großartige Frau ausgesucht, und es ist nicht zu übersehen, wie sehr diese Frau Sie liebt.«
Shaw trank seinen Kaffee und schwieg.
Katie fuhr fort: »Und von jetzt an kommt kein Mucks mehr von mir, ich schwör's. Ich hoffe, dass Sie beide es schaffen.«
Shaw leerte seinen Kaffee und stand auf. Er wirkte verlegen. »Mit Anna und mir ist alles okay. Ich habe ihr ... Ich habe ihr Dinge erzählt, die ich ihr schon vor langer Zeit hätte erzählen sollen.« Er ging ein paar Schritte in Richtung Tür, ehe er sich noch einmal umdrehte. »Ich bin froh, dass Sie es geschafft haben, heil aus Edinburgh herauszukommen.«
»Es kommt zwar reichlich spät, aber auch ich muss Ihnen danken. Sie haben mir das Leben gerettet.«
»Wie haben Sie das mit Anna eigentlich herausgefunden?«
»Hey, ich bin preisgekrönte Enthüllungsjournalistin. Ihr Hotelzimmer. Sie hatten Annas Namen auf die Schreibunterlage durchgedrückt. Und ich habe eine Bücherquittung in Ihrer Jackentasche gefunden. Außerdem war mir der Name Anna Fischer bekannt. Ich dachte, es sei die Sache wert, ein paar Anrufe zu tätigen, um zu sehen, ob es ein und dieselbe Frau war. Nach dem zu urteilen, was ich von Ihnen gesehen hatte, musste es in jedem Fall eine besondere Frau sein, wenn sie Ihr Interesse weckt.«
So viel Lob überraschte Shaw, doch er schwieg.
Er schaute auf Katies Schreibtisch neben der Hotelzimmertür. Er war bis obenhin voll mit Papieren, und auf dem Monitor des Laptops war eine Schlagzeile zu den Ereignissen in Russland zu sehen.
»Ihr nächster Pulitzerpreis?«, fragte er.
»Man darf niemals aufstecken, und als Mädel muss man den Jungs stets einen Schritt voraus sein.«
»Sie klingen wie Anna.«
Shaw zögerte, zog dann langsam etwas aus der Tasche und reichte es Katie. Es war eine Karte, auf der lediglich eine Telefonnummer stand.
»Die gebe ich nicht vielen Leuten.«
»Da bin ich sicher.«
»Aber als Sie bei Anna waren, könnte man Sie gesehen haben, und der Mann, für den ich arbeite ...« Er deutete auf die Karte. »Nur für den Fall.«
»Sie werden der Erste sein, den ich anrufe.«
»Passen Sie auf sich auf. Ich bezweifle, dass wir uns je wiedersehen.«
»Das dachte ich beim letzten Mal auch, und jetzt sitzen wir hier und trinken ein nettes Tässchen Kaffee zusammen.«
Eine Sekunde später war Shaw verschwunden.
Kapitel 37
N achdem Shaw nach Paris aufgebrochen war, kürzten die Russen ihre Öllieferungen um die Hälfte - mit der Erklärung, dass eine Welt, die sie derart verachte, ja wohl auch nicht ihr schmutziges Öl bräuchte. Als zweitgrößter Rohölexporteur nach Saudi Arabien und als Besitzer der
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