Die Kandidaten
erschien.
Susan erkannte ihren alten Rivalen nicht gleich wieder, unter
anderem deshalb, weil er zehn Zentimeter gewachsen und somit
zum ersten Mal größer war als sie. Erst als sie ihm ein Glas
Wein anbot und Michael erwiderte: »Wenigstens gießt du es
dieses Mal nicht über mich«, wurde ihr klar, wer der große, gut
aussehende Mann war.
»Mein Gott, ich habe mich grässlich verhalten«, sagte Susan
und erwartete, dass er es leugnete.
»Ja, hast du«, meinte er. »Aber vermutlich habe ich es
verdient.«
»Ja, allerdings«, entfuhr es ihr, dann biss sie sich auf die
Zunge.
Sie plauderten wie alte Freunde und es überraschte Susan, wie
groß ihre Enttäuschung war, als sich ihnen eine Kommilitonin
aus Georgetown anschloss und mit Michael flirtete. An diesem
Abend sprachen sie nicht mehr miteinander.
Am nächsten Tag rief Michael an und lud sie ins Kino ein:
Ehekrieg mit Spencer Tracy und Katharine Hepburn. Susan
kannte den Film bereits, hörte sich aber zusagen und konnte
nicht glauben, wie viel Zeit sie damit zubrachte, verschiedene
Kleider anzuprobieren, bevor Michael zu ihrer ersten
Verabredung eintraf.
Susan gefiel der Film auch noch beim zweiten Mal. Sie fragte
sich, ob Michael den Arm um ihre Schulter legen würde, wenn
Spencer Tracy Katharine Hepburn küsste. Er tat es nicht. Aber
als sie das Kino verließen, nahm er sie beim Überqueren der
Straße an der Hand und ließ sie erst los, als sie das Café
erreichten. Das war auch der Moment, in dem sie ihren ersten
Streit hatten. Nun ja, ihre erste Meinungsverschiedenheit.
9
Michael tat kund, dass er im November für Thomas Dewey
stimmen würde, woraufhin Susan klarstellte, dass sie sich
weiterhin Harry Truman im Weißen Haus wünschte. Der
Kellner stellte eine Eiscreme vor Susan ab. Sie starrte das Eis
an.
»Denk nicht mal daran«, warnte Michael.
Susan war nicht überrascht, als er sie am nächsten Tag anrief,
obwohl sie über eine Stunde neben dem Telefon gesessen und so
getan hatte, als würde sie lesen.
Michael gestand seiner Mutter beim Frühstück, dass es Liebe
auf den ersten Blick sei.
»Du kennst Susan doch schon seit Jahren«, erwiderte seine
Mutter.
»Nein, das stimmt nicht, Mom«, sagte er. »Ich habe sie gestern
zum ersten Mal getroffen.«
Beide Elternpaare waren entzückt und kein bisschen
überrascht, als sich Susan und Michael ein Jahr später verlobten,
hatten sie doch seit Susans Abschlussfeier so gut wie jeden Tag
zusammen verbracht. Beide hatten innerhalb weniger Tage nach
ihrem Abschluss am College eine Stelle gefunden, Michael als
Trainee bei der Hartford-Lebensversicherungsgesellschaft und
Susan als Geschichtslehrerin an der Jefferson High School. Sie
beschlossen, in den Sommerferien zu heiraten.
Es war allerdings nicht geplant, dass Susan schon während der
Flitterwochen schwanger würde. Michael konnte seine Freude
angesichts der Vorstellung, Vater zu werden, nicht verhehlen,
und als ihnen Dr. Greenwood im sechsten Monat mitteilte, dass
es Zwillinge würden, war er doppelt begeistert.
»Das wird wenigstens ein Problem lösen«, war Michaels erste
Reaktion.
»Als da wäre?«, wollte Susan wissen.
»Einer kann Republikaner werden und der andere Demokrat.«
10
»Nicht, solange ich noch ein Wörtchen mitzureden habe«,
erklärte Susan und rieb sich den Bauch.
Susan unterrichtete bis in den achten Monat, der zufällig auf
die Osterferien fiel. Am achtundzwanzigsten Tag ihres neunten
Monats suchte sie mit einem kleinen Köfferchen das
Krankenhaus auf. Michael verließ seine Arbeitsstelle vorzeitig
und schloss sich ihr wenige Minuten später mit der guten
Nachricht an, dass er zum Policen-Manager befördert worden
war.
»Was bedeutet das?«, fragte Susan.
»Es
ist
ein
hochtrabender
Titel
für
einen
Versicherungsvertreter«, erklärte Michael. »Aber es gibt eine
kleine Gehaltserhöhung und das kommt gerade recht, wo wir
doch jetzt zwei weitere Mäuler zu stopfen haben.«
Sobald Susan auf ihrem Zimmer lag, schlug Dr. Greenwood
Michael vor, er solle während der Geburt draußen warten, da es
bei Zwillingen leicht zu Komplikationen kommen könnte.
Michael lief den Flur auf und ab. Vor dem Porträt von Josiah
Preston, das am anderen Ende des Flures hing, drehte er sich
jedes Mal um und ging wieder zurück. Während der ersten
Runden seines Gewaltmarsches blieb Michael nicht stehen, um
die ausführliche Biografie zu lesen, die unter dem Porträt
Weitere Kostenlose Bücher