Die Kandidaten
des
Krankenhausgründers angebracht war. Doch als der Arzt
schließlich durch die Doppeltüren trat, kannte Michael Prestons
gesamte Lebensgeschichte auswendig.
Die grün gekleidete Gestalt ging langsam auf ihn zu, bevor sie
ihre Maske vom Gesicht nahm. Michael versuchte, den
Gesichtsausdruck zu lesen. In seinem Beruf war es von Vorteil,
wenn man Gesichtsausdrücke enträtseln und Hintergedanken
erkennen konnte, denn beim Verkauf von Lebensversicherungen
musste man alle Ängste vorhersehen, die ein potenzieller Kunde
haben mochte. Doch der Arzt verriet in seinem Gesicht absolut
nichts. Als sie einander gegenüberstanden, lächelte er plötzlich
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und sagte: »Ich gratuliere, Mr Cartwright, Sie haben zwei
gesunde Söhne.«
Susan war mit zwei Jungen niedergekommen – um 16 Uhr 37
mit Nathaniel und um 16 Uhr 43 mit Peter. In der folgenden
Stunde herzten die Eltern ihre Söhne abwechselnd, bis
Dr. Greenwood vorschlug, Mutter und Kinder sollten sich etwas
ausruhen. »Zwei Kinder stillen zu müssen wird mehr als
anstrengend für Sie sein. Ich gebe die beiden Kleinen über
Nacht auf unsere Säuglingsstation«, fügte er hinzu. »Sie müssen
sich keine Sorgen machen. Das tun wir bei Zwillingen immer.«
Michael begleitete seine Söhne auf die Säuglingsstation, wo
man ihn erneut bat, auf dem Flur zu warten. Der stolze Vater
presste die Nase gegen die Glasscheibe, die den Flur von den
Reihen
der
Kinderbettchen
trennte.
Er
starrte
die
schlummernden Jungen an und wollte jedem, der vorüberging,
zurufen: »Das sind meine zwei!« Er lächelte die
Krankenschwester
an,
die
neben
den
Wiegen
der
Neuankömmlinge stand und aufmerksam über sie wachte. Sie
band Namensschilder um ihre winzigen Handgelenke.
Michael konnte sich nicht erinnern, wie lange er dort stand, bis
er schließlich wieder an das Bett seiner Frau zurückkehrte. Als
er die Türen öffnete, stellte er zu seiner großen Freude fest, dass
Susan tief schlief. Er küsste sie sanft auf die Stirn. »Ich sehe
dich dann morgen früh, mein Schatz, bevor ich zur Arbeit
gehe.« Michael ignorierte die Tatsache, dass sie kein Wort
hörte. Er verließ das Zimmer, marschierte den Flur entlang und
trat in den Aufzug, wo er auf Dr. Greenwood traf, der seinen
grünen OP-Kittel gegen eine Freizeitjacke und graue
Flanellhosen getauscht hatte.
»Ich wünschte, es wäre immer so einfach«, sagte er zu dem
stolzen Vater, als der Aufzug im Erdgeschoss hielt. »Trotzdem
komme ich heute Abend noch einmal vorbei, Mr Cartwright, um
nach Ihrer Frau und Ihren Zwillingen zu schauen. Obwohl ich
nicht mit Problemen rechne.«
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»Danke, Doktor«, sagte Michael. »Vielen Dank.«
Dr. Greenwood lächelte. Er hätte das Krankenhaus verlassen,
um nach Hause zu fahren, hätte er nicht in diesem Augenblick
eine elegante Dame entdeckt, die durch die Schwingtüren trat.
Rasch ging er zu Ruth Davenport hinüber.
Michael Cartwright sah sich noch einmal um. Der Arzt hielt
gerade die Aufzugstüren für zwei Frauen auf, von denen eine
hochschwanger war. Ein ängstlicher Gesichtsausdruck hatte das
warme Lächeln von Dr. Greenwood abgelöst. Michael hoffte,
dass der Neuzugang eine ebenso unkomplizierte Geburt haben
würde, wie Susan sie zuwege gebracht hatte. Er schlenderte zu
seinem Wagen, versuchte sich klar zu machen, was er als
Nächstes tun müsse, immer noch unfähig, das breite Grinsen aus
seinem Gesicht zu verbannen.
Als Erstes musste er seine Eltern anrufen … die Großeltern.
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2
RUTH DAVENPORT HATTE SICH bereits damit abgefunden,
dass dies ihre letzte Chance sein würde. Dr. Greenwood hatte es
ihr aus professionellen Gründen nicht mit dieser Deutlichkeit
gesagt, obwohl er nach zwei Fehlgeburten binnen zweier Jahre
seiner Patientin nicht raten konnte, noch einmal schwanger zu
werden.
Robert Davenport kannte solch professionelle Etikette dagegen
nicht und als er erfuhr, dass seine Frau zum dritten Mal
schwanger war, äußerte er sich auf typisch plumpe Art dazu. Er
stellte ihr schlicht und einfach ein Ultimatum: »Dieses Mal
gehst du es gefälligst locker an« – eine beschönigende
Umschreibung für den Befehl: Tu nichts, was der Geburt
unseres Sohnes schaden könnte. Robert Davenport ging
selbstredend davon aus, dass sein Erstgeborenes ein Junge sein
würde. Er wusste allerdings, dass es seiner Frau schwer fallen
würde, wenn es ihr nicht gar unmöglich war, es ›locker
anzugehen‹. Schließlich war sie
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