Die Kandidaten
die nötigen Qualifikationen
mitbrachten. Seine endgültige Entscheidung würde letztlich
davon abhängen, ob er davon überzeugt war, dass die
Anwärterin willensstark genug war, um sicherzustellen, dass
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Ruth ihr Versprechen, es ›locker anzugehen‹, auch hielt, und die
dafür sorgte, dass Ruth nicht in alte Gewohnheiten verfiel und
alles organisieren wollte, was ihren Weg kreuzte.
Nach der dritten Runde an Vorstellungsgesprächen entschied
sich Robert für eine Miss Heather Nichol, leitende
Krankenschwester der Entbindungsstation von St Patrick. Ihm
gefiel ihre nüchterne Art und die Tatsache, dass sie weder
verheiratet war noch mit einem Aussehen gesegnet, durch das
sich dieser Umstand in absehbarer Zukunft ändern würde. Den
endgültigen Ausschlag gab jedoch die Tatsache, dass Miss
Nichol bereits über eintausend Kindern in diese Welt geholfen
hatte.
Robert war begeistert, wie schnell sich Miss Nichol in den
Haushalt einfügte, und mit jedem Monat, der verstrich, wurde er
zuversichtlicher, dass sie nicht zum dritten Mal dasselbe
Problem haben würden. Als Ruth die ersten fünf, sechs und
dann sieben Monate ohne Vorfälle überstand, kam Robert sogar
auf mögliche Vornamen zu sprechen: Fletcher Andrew, wenn es
ein Junge wurde, Victoria Grace bei einem Mädchen. Ruth hatte
nur einen Wunsch: Wenn es ein Junge würde, sollte er Andrew
gerufen werden, aber im Grunde erhoffte sie nicht mehr als die
Geburt eines gesunden Kindes.
Robert nahm in New York an einem Ärztekongress teil, als ihn
Miss Nichol telefonisch aus einem Seminar rief, um ihm
mitzuteilen, dass bei seiner Frau die Wehen eingesetzt hätten. Er
versicherte ihr, dass er unverzüglich mit dem Zug zurückfahren
und mit dem Taxi direkt ins St Patrick kommen werde.
Dr. Greenwood verließ gerade das Gebäude, nachdem er die
Cartwright-Zwillinge erfolgreich zur Welt gebracht hatte, als er
Ruth Davenport sah, die in Begleitung von Miss Nichol durch
die Schwingtüren trat. Er drehte sich um und holte die beiden
Damen ein, bevor sich die Aufzugstüren schlossen.
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Sobald er seine Patientin in einem Privatzimmer untergebracht
hatte, sammelte Dr. Greenwood rasch die besten Gynäkologen
um sich, die das Krankenhaus aufzubieten hatte. Wäre Mrs
Davenport eine normale Patientin gewesen, hätten er und Miss
Nichol das Kind ohne zusätzliche Hilfe zur Welt bringen
können. Doch nach kurzer Untersuchung wurde ihm klar, dass
Ruth einen Kaiserschnitt benötigen würde, wenn das Kind sicher
auf die Welt kommen sollte. Er sah zur Decke hoch und sprach
ein stummes Gebet. Ihm war überdeutlich bewusst, dass dies
ihre letzte Chance sein würde.
Die Geburt dauerte nur etwas über vierzig Minuten. Beim
ersten Blick auf den Kopf des Babys seufzte Miss Nichol erlöst
auf, aber erst als der Arzt die Nabelschnur durchtrennte, fügte
sie auch noch ein ›Halleluja‹ hinzu. Ruth, die immer noch
narkotisiert war, konnte das erleichterte Lächeln auf
Dr. Greenwoods Gesicht natürlich nicht sehen. Rasch verließ er
den Operationssaal, um dem erwartungsvollen Vater
mitzuteilen: »Es ist ein Junge.«
Während Ruth friedlich schlummerte, blieb es Miss Nichol
überlassen, Fletcher Andrew auf die Säuglingsstation zu
bringen, wo er seine ersten Lebensstunden in Gesellschaft
mehrerer Neugeborener verbringen würde. Sobald sie das Kind
in seine kleine Wiege gebettet hatte, ließ sie die
Krankenschwester über ihn wachen und kehrte in Ruths Zimmer
zurück. Miss Nichol setzte sich in den bequemen Sessel in der
Ecke und versuchte, wach zu bleiben.
Gerade als die Nacht dazu ansetzte, in den Morgen
überzugehen, schreckte Miss Nichol aus dem Schlaf auf. Sie
hörte die Worte: »Kann ich meinen Sohn sehen?«
»Natürlich, Mrs Davenport«, erwiderte Miss Nichol und erhob
sich rasch aus dem Sessel. »Ich gehe und hole den kleinen
Andrew.«
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Bevor sie die Tür hinter sich schloss, fügte sie noch hinzu:
»Ich bin sofort zurück.«
Ruth richtete sich auf, schüttelte ihr Kissen aus, schaltete die
Lampe auf dem Nachttisch ein und wartete voller Vorfreude.
Im Flur sah Miss Nichol auf ihre Armbanduhr. Es war 4 Uhr
31. Sie ging die Treppe in den fünften Stock hinunter und eilte
zur Säuglingsstation. Miss Nichol öffnete leise die Tür, damit
sie keines der schlafenden Babys weckte. Sie trat in einen
Raum, der von einer schwachen Neonröhre an der Decke
beleuchtet wurde, und ihr Blick fiel auf die Nachtschwester,
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