Die Kandidaten
die
in der Ecke ein Nickerchen machte. Sie störte die junge Frau
nicht, da es wahrscheinlich der einzige Augenblick während
ihrer achtstündigen Schicht war, in dem sie sich einen Moment
ausruhen konnte.
Auf Zehenspitzen schlich Miss Nichol durch die beiden
Reihen an Wiegen, blieb nur kurz stehen, um auf die Zwillinge
in der Doppelwiege zu schauen, die neben Fletcher Andrew
Davenport lagen.
Dann sah sie auf das Kind hinunter, das den Rest seines
Lebens jeden Wunsch erfüllt bekommen würde. Doch als sie
sich über den kleinen Jungen beugte, erstarrte sie. Nach
eintausend Geburten ist man qualifiziert genug, um den Tod zu
erkennen. Die Blässe der Haut und die Reglosigkeit der Augen
machten es nicht mehr nötig, nach dem Puls zu fühlen.
Entscheidungen, die im Bruchteil einer Sekunde gefällt
werden – und manchmal zudem noch von anderen, nicht von
uns selbst –, können oft den Verlauf unseres ganzen Lebens
verändern.
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ALS DR. GREENWOOD mitten in der Nacht geweckt wurde
und man ihm mitteilte, dass einer seiner neuen Schützlinge
gestorben war, wusste er genau, um welches Neugeborene es
sich handelte. Ihm war auch klar, dass er umgehend ins
Krankenhaus musste.
Kenneth Greenwood hatte immer schon Arzt werden wollen.
Bereits nach wenigen Wochen an der medizinischen Fakultät
war ihm auch klar gewesen, auf welches Fachgebiet er sich
spezialisieren würde. Er dankte Gott jeden Tag, dass er ihm
erlaubte, seiner Berufung zu folgen. Doch von Zeit zu Zeit
musste er einer Mutter eröffnen, dass sie ihr Kind verloren hatte,
als ob der Allmächtige es irgendwie vonnöten fand, für einen
Ausgleich zu sorgen. Es war niemals einfach, aber es Ruth
Davenport nunmehr zum dritten Mal sagen zu müssen …
Um fünf Uhr morgens waren so wenig Autos unterwegs, dass
Dr. Greenwood schon nach zwanzig Minuten auf den für ihn
reservierten Krankenhausparkplatz bog. Er stieß die
Schwingtüren auf, schritt an der Anmeldetheke vorbei und trat
in den Aufzug, noch bevor ihn einer seiner Mitarbeiter
ansprechen konnte.
»Wer soll es ihr sagen?«, fragte die Schwester, die im fünften
Stock schon auf ihn wartete, als sich die Türen des Aufzugs
öffneten.
»Das werde ich selbst erledigen«, sagte Dr. Greenwood. »Ich
bin mit der Familie seit Jahren befreundet.«
Die Schwester wirkte überrascht. »Vermutlich müssen wir
dankbar sein, dass das zweite Baby überlebt hat«, unterbrach sie
seinen Gedankengang.
Dr. Greenwood blieb abrupt stehen. »Das zweite Baby?«
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»Aber ja, Nathaniel geht es prächtig. Nur Peter ist gestorben.«
Dr. Greenwood schwieg einen Augenblick und versuchte,
diese Information zu verdauen. »Was ist mit dem Jungen der
Davenports?«, erkundigte er sich.
»Dem geht es gut, soweit ich weiß«, erwiderte die Schwester.
»Warum fragen Sie?«
»Ich habe ihn zur Welt gebracht, bevor ich nach Hause fuhr.«
Hoffentlich bemerkte die Schwester das Zögern in seiner
Stimme nicht.
Dr. Greenwood schritt langsam durch die Reihen an
Kinderbettchen, vorbei an Neugeborenen, die tief und fest
schliefen, und anderen, die brüllten, als ob sie beweisen wollten,
dass sie über Lungen verfügten. An der Doppelkrippe, in der er
vor wenigen Stunden die Zwillinge verlassen hatte, blieb er
stehen. Nathaniel schlief friedlich, während sein Bruder reglos
in der Wiege lag. Dr. Greenwood sah zur Namenstafel des
nebenstehenden Kinderbetts, um sich zu vergewissern:
DAVENPORT, FLETCHER ANDREW. Der kleine Junge
atmete regelmäßig; er schlief fest.
»Natürlich konnte ich das Kind nicht wegbringen, bevor nicht
der Arzt, der bei der Geburt zugegen war …«
»Sie müssen mich nicht an das Krankenhausprozedere
erinnern«, fuhr Dr. Greenwood sie ungewohnt barsch an. »Wann
hat Ihr Dienst begonnen?«, erkundigte er sich.
»Kurz nach Mitternacht.«
»Und seitdem sind Sie hier?«
»Ja, Sir.«
»Hat in dieser Zeit noch jemand die Säuglingsstation
betreten?«
»Nein, Herr Doktor«, erwiderte die Schwester. Sie beschloss,
nicht zu erwähnen, dass sie vor ungefähr einer Stunde zu hören
geglaubt hatte, wie sich eine Tür schloss. Wenigstens nicht,
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solange er so schlecht gelaunt war. Dr. Greenwood starrte auf
die beiden Kinderbettchen mit der Aufschrift CARTWRIGHT,
NATHANIEL UND PETER. Er wusste, was die Pflicht ihm
gebot.
»Bringen Sie das Baby in die Leichenkammer«, erklärte er mit
ruhiger Stimme. »Ich schreibe sofort einen Bericht, aber ich
werde die Mutter
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