Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
die Luft. Vor ihm öffnete sich ein Eingang.
»Wie hast du das angestellt?«, wollte ich wissen. »Bastet hat gesagt, wir könnten während der Dämonentage keine Portale herbeirufen.«
»Sterbliche nicht«, stimmte Thot zu. »Ein Gott mit magischen Kräften allerdings schon. Wenn ihr es schafft, gehen wir zusammen grillen.«
Der Eingang saugte uns in eine schwarze Leere, Thots Büro verschwand.
24.
Ich jage blaue Wildlederschuhe in die Luft
»Wo sind wir?«, fragte ich.
Wir standen auf einer menschenleeren Straße vor den Toren eines großen Anwesens. Anscheinend waren wir noch immer in Memphis – zumindest waren die Bäume und das Wetter unverändert und es war noch immer Nachmittag.
Das Anwesen war gigantisch groß. Das weiße Metallgatter hatte ein raffiniertes Muster aus Silhouetten von Gitarrenspielern und Noten. Dahinter wand sich die Auffahrt zwischen Bäumen hindurch zu einem zweistöckigen Gebäude mit weißem Säulenvorbau.
»Oh nein«, meinte Carter. »Dieses Tor kenne ich.«
»Was? Warum?«
»Dad war mal mit mir hier. ›Das Grab eines großen Magiers‹? Thot will uns wohl verarschen.«
»Carter, wovon redest du? Ist hier jemand begraben?«
Er nickte. »Das ist Graceland. Das Zuhause des berühmtesten Musikers der Welt.«
»Hier hat Michael Jackson gelebt?«
»Nein, du Schaf«, erwiderte Carter. »Elvis Presley.«
Ich war nicht sicher, ob ich lachen oder fluchen sollte. »Elvis Presley. Du meinst weiße Anzüge mit Strassbesatz, Schmalztolle, Grans Plattensammlung – diesen Elvis?«
Carter sah sich nervös um. Er zog sein Schwert, obwohl wir ganz allein zu sein schienen. »Hier hat er gelebt und hier ist er gestorben. Sein Grab ist hinter dem Haus.«
Ich starrte auf das Haus. »Willst du mir erzählen, dass Elvis ein Magier war?«
»Weiß nicht.« Carter umklammerte sein Schwert. »Thot hat doch irgendwas geschwafelt, dass Musik eine Art Magie ist. Aber irgendwas stimmt hier nicht. Warum ist hier sonst niemand? Normalerweise trampeln sich hier Touristen tot.«
»Weihnachtsferien?«
»Aber keine Wächter?«
Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht hat Thot dasselbe gemacht wie Zia in Luxor. Vielleicht hat er alle anderen vertrieben.«
»Vielleicht.« Doch Carter wirkte noch immer beunruhigt. Er drückte gegen die Tore, die ohne weiteres aufsprangen. »Nicht gut«, murmelte er.
»Nein«, stimmte ich zu. »Komm, wir erweisen ihm die letzte Ehre.«
Als wir die Auffahrt hinaufliefen, war mein einziger Gedanke, dass das Zuhause des »King« nicht sonderlich beeindruckend war. Verglichen mit einigen Promivillen, die ich im Fernsehen gesehen hatte, wirkte das Haus von Elvis total mickrig. Es hatte bloß zwei Stockwerke, diesen weißen Säulenvorbau und Backsteinmauern. Den Eingang flankierten zwei alberne Gipslöwen. Vielleicht war ja zu Elvis’ Zeiten nicht alles so protzig gewesen oder er hatte sein ganzes Geld für Strassanzüge verplempert.
Wir blieben am Fuß der Treppe stehen.
»Dad war also mit dir hier?«, erkundigte ich mich.
»Ja.« Carter betrachtete die Löwen, als erwartete er, dass sie ihn jeden Moment anfallen könnten. »Dad steht normalerweise auf Blues und Jazz, aber er meinte, Elvis war wichtig, weil er afroamerikanische Musik für Weiße populär gemacht hat. Er war einer der Wegbereiter des Rock ’n’ Roll. Egal, Dad und ich waren wegen irgendeines Symposiums in der Stadt. Ich hab vergessen, welches. Dad hat darauf bestanden, dass ich mir das hier anschaue.«
»Glückspilz.« Auch wenn ich vielleicht allmählich verstand, dass Carters Leben mit Dad nicht nur aus Glanz und Ferien bestanden hatte, konnte ich nicht anders, als ein bisschen eifersüchtig zu sein. Auf Graceland hätte ich natürlich verzichten können, doch mich hatte Dad nie irgendwo dabeihaben wollen – zumindest nicht bis zu dem Ausflug ins British Museum, als er verschwand. Ich hatte nicht mal gewusst, dass Dad Elvis-Fan war, was ich im Übrigen eher gruselig fand.
Wir stiegen die Treppe hinauf. Die Haustür öffnete sich von allein.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Carter. Als ich mich umdrehte, gefror mir das Blut in den Adern. Ich packte meinen Bruder am Arm. »Äh, Carter, da wir gerade von Sachen reden, die wir nicht leiden können …«
Zwei Magier, die mit Zaubermessern und Zauberstäben herumfuchtelten, kamen die Auffahrt hinauf.
»Los, ins Haus«, sagte Carter. »Schnell!«
Ich hatte nicht viel Zeit, das Haus zu bewundern. Zu unserer Linken gab es ein Speisezimmer und ein
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