Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
uns gerade noch«, sagte ich. »Noch mehr Feinde.«
Es muss ja nicht so kommen, sagte Horus . Nun hast du den Feind gesehen. Wer hat deiner Meinung nach die besseren Chancen, gegen den Gebieter des Chaos vorzugehen – Re oder Horus?
Das Boot stieß vom dunklen Ufer ab. Als Horus meinen Ba freiließ, schwebte mein Bewusstsein wie ein Heliumballon in die Menschenwelt zurück. Den Rest der Nacht träumte ich von der Landschaft mit den toten Skarabäen und einem roten Auge, das aus den Tiefen eines immer schwächer werdenden Kerkers starrte.
Falls ich mich am nächsten Morgen etwas seltsam benahm, kennt ihr jetzt den Grund.
Ich verbrachte eine Menge Zeit damit, darüber nachzugrübeln, warum Horus mir diese Vision gezeigt hatte. Die naheliegende Antwort: Horus war momentan der König der Götter. Er wollte nicht, dass Re zurückkam und seine Autorität in Frage stellte. Götter neigen zum Egoismus. Selbst wenn sie sich hilfsbereit zeigen, verfolgen sie immer ihre eigenen Absichten. Man kann ihnen deshalb nur mit Vorbehalt trauen.
Andererseits hatte Horus natürlich Recht. Re war schon vor fünftausend Jahren alt gewesen. Keiner wusste, in welcher Verfassung er nun war. Selbst wenn wir es schafften, ihn zu wecken, gab es keine Garantie, dass er uns helfen würde. Wenn er so ramponiert aussah wie sein Boot, hatte Re keine Chance, Apophis zu besiegen.
Horus hatte mir die Frage gestellt, wer meiner Meinung nach die besten Aussichten hatte, dem Gebieter des Chaos entgegenzutreten. Wenn ich in mich hineinhorchte, lautete die erschreckende Antwort: keiner von uns. Nicht die Götter. Nicht die Magier. Nicht mal, wenn wir alle zusammenarbeiteten. Horus wollte König sein und die Götter in die Schlacht führen, doch dieser Feind war stärker als alles, was ihm bisher begegnet war. Apophis war so alt wie das Universum und er fürchtete nur einen Feind: Re.
Mein Gefühl sagte mir, dass wir es mit Re versuchen mussten. Und ganz ehrlich: Die Tatsache, dass alle es für eine schlechte Idee hielten – Bastet, Horus, sogar Sadie –, bestärkte mich nur darin, dass es das Richtige war. Bei so was kann ich ziemlich stur sein.
Der einfache Weg ist selten der richtige, hatte Dad oft erklärt.
Er hatte das ganze Lebenshaus herausgefordert. Weil er sicher war, dass es der einzige Weg war, die Welt zu retten, hatte er sein Leben geopfert, um die Götter freizusetzen. Nun war ich an der Reihe, die schwierige Entscheidung zu treffen.
Zurück zum Frühstück und zum Streit mit Sadie. Nachdem sie durch das Portal gesprungen war, blieb ich auf dem Dach, wo mir nur mein neuer Freund, der psychotische Greif, Gesellschaft leistete.
Da er ständig »FRIEEEK!« kreischte, beschloss ich, ihn Freak zu taufen, was seinen Charakter ziemlich auf den Punkt brachte. Ich hatte erwartet, dass er über Nacht verschwinden würde – indem er wegflog oder in die Duat zurückkehrte –, doch anscheinend fühlte er sich in seinem neuen Hühnerstall ganz wohl. Ich hatte den Stall mit einem Stapel Morgenzeitungen ausgelegt, allesamt mit Schlagzeilen über eine seltsame Faulgasexplosion in der Kanalisation am Vorabend. Laut der Berichte hatte das Gas in ganz Brooklyn geisterhafte Feuer entzündet, massive Schäden im Museum verursacht und bei einigen Menschen Übelkeit und Schwindel hervorgerufen und sogar Halluzinationen über Kolibris in Rhinozerosgröße. Dämliches Faulgas.
Ich war gerade dabei, Freak noch mehr gebratene Truthähne vorzuwerfen (Mann, hatte der einen Appetit), da tauchte Bastet neben mir auf.
»Normalerweise mag ich Vögel ja«, sagte sie. »Aber dieses Ding nervt mich.«
»FRIEEEK!« , lautete Freaks Kommentar. Bastet und er taxierten einander, als überlegten sie, wie der andere wohl zum Mittagessen schmecken würde.
Bastet schnüffelte. »Den behältst du nicht, oder?«
»Na ja, er ist nicht festgebunden oder so«, erwiderte ich. »Wenn er will, kann er abhauen. Aber es scheint ihm hier zu gefallen.«
»Toll«, brummte Bastet. »Noch was, das euch vielleicht tötet, wenn ich weg bin.«
Meiner Meinung nach kamen Freak und ich ziemlich gut miteinander klar, aber davon war Bastet vermutlich nicht zu überzeugen.
Sie war schon reisefertig. Über ihrem üblichen Leopardenanzug trug sie einen langen schwarzen Mantel mit aufgestickten Schutzhieroglyphen. Der Stoff schimmerte bei jeder Bewegung und machte Bastet abwechselnd sichtbar und unsichtbar.
»Sei vorsichtig«, bat ich sie.
Sie lächelte. »Ich bin eine Katze, Carter.
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