Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
wie meine. Sie war tiefer, rauer – aber es war auch nicht Horus’ Stimme. Der Kriegsgott schien aus meinem Kopf verschwunden zu sein. »Du meinst … für immer?«
Re kicherte. »Wenn du erst mal so alt bist wie ich, lernst du, vorsichtiger mit solchen Worten wie für immer umzugehen. Als ich das erste Mal abdankte, dachte ich auch, es wäre für immer. Jetzt muss ich mich, zumindest für eine Weile, in den Himmel zurückziehen. Mein alter Feind Apophis hatte Recht. Wenn das Chaos beseitigt ist, müssen sich die Götter der Ordnung, Maat, ebenfalls zurückziehen. So sieht es das Gleichgewicht des Universums vor.«
»Dann … solltest du diese hier mitnehmen.« Wieder hielt ich ihm Krummstab und Geißel entgegen.
Re schüttelte den Kopf. »Bewahr sie für mich auf. Du bist der rechtmäßige Pharao. Und pass auf meine Lieblingsmagierin auf …« Er nickte in Zias Richtung. »Sie wird sich erholen, aber sie braucht Hilfe.«
Um den Sonnengott blitzte Licht auf. Als es erlosch, war er verschwunden. Beim Sonnenaufgang über den Pyramiden von Gizeh standen zwei Dutzend erschöpfter Magier um einen qualmenden schlangenförmigen Abdruck in der Wüste.
Sadie legte mir die Hand auf den Arm. »Bruderherz?«
»Ja?«
»Das war ganz schön knapp.«
Ausnahmsweise waren meine Schwester und ich einer Meinung.
An den Rest des Tages kann ich mich nur noch schemenhaft erinnern. Ich weiß noch, dass ich Zia in die Krankenstation des Ersten Nomos brachte. Meine gebrochene Hand war innerhalb von Minuten verarztet, doch ich blieb bei Zia, bis Jaz mich wegschickte. Sie und die anderen Heiler mussten Dutzende verwundeter Magier behandeln – auch diesen jungen Russen Leonid, der erstaunlicherweise durchkommen würde –, und auch wenn Jaz mein Verhalten sehr süß fand, war ich nur sehr im Weg.
Ich schlenderte durch die Haupthöhle und war geschockt, dass sie voller Menschen war. Überall auf der Welt funktionierten die Portale wieder. Magier strömten herbei, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen und dem Obersten Vorlesepriester ihre Unterstützung zuzusichern. Wenn die schwere Arbeit erledigt ist, lassen sich alle gern bei der Party sehen.
Ich versuchte, meine Bitterkeit zu verdrängen. Ich wusste, dass viele andere Nomoi ihre eigenen Kämpfe ausgefochten hatten. Apophis hatte sich alle Mühe gegeben, uns zu spalten, um uns zu besiegen. Trotzdem hinterließ es einen schalen Geschmack in meinem Mund. Viele starrten ehrfürchtig auf Res Krummstab und Geißel, die immer noch an meinem Gürtel baumelten. Ein paar Leute gratulierten mir und nannten mich einen Helden. Ich ging weiter.
Als ich am Wagen des Zauberstabverkäufers vorbeikam, zischte jemand: »Pssst!«
Ich blickte in den Gang neben mir, wo der Geist Setne gegen eine Mauer gelehnt stand. Ich war so verblüfft, dass ich ihn zunächst für eine Halluzination hielt. Er konnte unmöglich im Ersten Nomos sein und nach wie vor sein schauderhaftes Sakko und die Klunker und die Jeans tragen, mit perfekt gekämmter Elvis-Tolle, das Buch des Thot unter dem Arm.
»Du hast dich tapfer geschlagen, Kumpel«, rief er. »Anders, als ich es gemacht hätte, aber nicht übel.«
Irgendwann erwachte ich aus meiner Trance. »Tas!«
Setne grinste bloß. »Tja, mit diesem Spielchen sind wir fertig. Aber keine Sorge, Kumpel. Man sieht sich.«
Er verschwand in einer Rauchwolke.
Ich bin nicht sicher, wie lange ich dort stand, bevor mich Sadie fand.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Ich erzählte ihr, was ich gesehen hatte. Sie zuckte zusammen, wirkte aber nicht sonderlich überrascht. »Früher oder später werden wir uns wohl mit diesem Schwachkopf befassen müssen, aber jetzt kommst du erst mal mit mir. Amos hat im Gang der Zeitalter eine Vollversammlung einberufen.« Sie hakte sich bei mir unter. »Und versuch zu lächeln, Bruderherz. Ich weiß, es ist schwer. Aber so schrecklich ich es auch finde, du bist jetzt ein Vorbild für andere.«
Ich gab mir alle Mühe, aber es war schwierig, Setne aus dem Kopf zu bekommen.
Wir liefen an einigen unserer Freunde vorbei, die beim Wiederaufbau halfen. Alyssa und ein Trupp Erdelementalisten verstärkten Mauern und Decken, damit die Höhle nicht über uns einstürzte.
Julian saß auf den Stufen des Wahrsagehauses und baggerte ein paar Mädels aus einem skandinavischen Nomos an. »Ja, wisst ihr«, erklärte er ihnen. »Als Apophis mich in meinem großen Kampfavatar kommen sah, da war ihm klar, dass die Sache für ihn gelaufen war.«
Sadie
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