Die Kanzlerin - Roman
zu wenig«, sagte Kranich. »Ich kenne ihre Vorgänger nicht.«
»Sie sind ein sehr vorsichtiger Mensch, Herr Kranich, so wie ich Sie einschätze. Korrekt, diszipliniert, aber immer etwas auf Distanz. Ich schätze das.«
»Ein Nahkämpfer bin ich nicht.«
»Distanzen werden heute ja spielend leicht überbrückt, Herr Kranich, denken Sie nur an das Internet. Da kommt man sich plötzlich sehr nahe und weiss manchmal gar nicht, wem man da so nahegekommen ist. Vielleicht einem Herrn auf den Kapverdischen Inseln oder der Sekretärin im Haus gegenüber.«
»Ich surfe nur gelegentlich, eigentlich nur zum Spielen.«
»Was für Spiele spielen Sie denn, Herr Kranich? Gewalttätige Games traue ich Ihnen eigentlich nicht zu – ich hoffe, Sie verübeln mir das nicht, das ist als Kompliment gemeint.«
»Schach«, sagte Kranich.
»Ein interessantes Spiel.« Haxer machte eine Pause. »Zug um Zug. Und immer muss man sich in den Kopf seines Gegners hineinversetzen. Und letztlich doch sein eigenes Spiel machen … Und die Königin ist die Stärkste, aber man muss den König schützen. Ist das nicht ein gewisser Interessenkonflikt?« Haxer wechselte das Thema: »Ach übrigens, fahren Sie mit in die Schweiz, Herr Kranich? Sie sehen, ich bin vielleicht nicht ganz so gut informiert über alles, was im Kanzleramt passiert, wie das allgemein angenommen wird.«
»Die Kanzlerin wünscht meine Anwesenheit, ja.«
»Also fahren Sie?«
»Ich habe da noch einen privaten Termin, der mit dem Datum des Säntisausflugs kollidiert …«
»Konflikte, Kollisionen, Unfälle – Herr Kranich, hat mich sehr gefreut, unsere kleine Unterhaltung, dass wir uns ein bisschen nähergekommen sind, wie ich hoffe, obwohl wir ja, wie gesagt, nichtwissen können, ob das nicht längst schon geschehen ist – vielleicht haben wir ja schon eine Partie miteinander gespielt, im Netz. Ich hab da noch eine Hängepartie mit einem gewissen DINA4. Ein guter Spieler, ein verdammt guter Spieler.«
Kranich spürte, wie ihn Haxer fixierte, und betastete unwillkürlich seine linke Hand.
»Desinfizieren«, sagte Haxer. »Etwas Schnaps drauf, Herr Kranich, man weiss ja nie, was für Mikroben sich da tummeln. Schönen Abend wünsche ich noch, und grüssen Sie mir die Schweiz, falls Sie sich zum Ausflug entschliessen sollten.«
B ossdorf sass vor dem Computer und las in Arsfendi’s Weblog MondSüchtig : »Die Zeit ist niemals gnädig und wir am wenigsten zu uns. Und dennoch haben wir die Möglichkeit, wenigstens im Danach das Gewesene zu löschen, indem man weitergeht, ohne sich umzublicken, und damit die Vergangenheit als solche zurücklässt.«
Bossdorf überlegte sehr lange, bis er schrieb: »Ich geh keinen Schritt ohne Rückspiegel.«
Wieder dachte er nach und schrieb dann: »Das stärkste Leitmotiv ist das Leidmotiv.«
19 Uhr. Loderer konnte es nicht mehr erwarten, loggte sich ein und schrieb: »Saufrau Male, dein Saumann ist schon da. Hast du dich schöngemacht?«
»Geduld ist nicht deine Stärke, und du hast vielleicht vieles unter Kontrolle, Controller, aber deinen Schwanz nicht. Du bist jetzt schon wild, und auch mein Fötzchen ist angeschwollen vor Lust. Muss mich berühren … Du schweigst, Controller, warum?«
»Mache es vielleicht zu kompliziert. Wir instrumentalisierenund powern uns. Aber vielleicht fühle nicht nur ich mich manchmal in diesen Niederungen der Lust gelegentlich etwas allein?«
»Sag mir, Filip, was verunsichert dich?«
»Es ist erschreckend für mich zu spüren, wie wichtig du mir geworden bist. Ich will dich.«
»Unser Spiel nimmt immer neue Dimensionen an, weil die Gefühle tief gehen …«
Loderer sass wie erstarrt vor dem Computer. »Saufrau Male, ich will dich durchficken, jetzt, sofort …«
»… hat geklingelt, bis bald, Controller, dein Hürchen wird ihr Bestes geben.«
Loderer war ausser sich.
Er raste.
Er war rasend.
Sie machte ihn rasend.
P ierre Haxer lachte. »Und dann hat der Stern gesagt: ›Frau Kanzlerin, Sie sind die mächtigste Frau der Welt.‹«
Auch Kordian von Aretin lachte. »Und sie spielte die Unwissende. Fragte: ›Wer sagt das?‹«
Luzius Wagenbach, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung 2, fragte: »Und sonst hat sie nichts dazu gesagt?«
»Sie liess es sich sagen und sog das Gesagte auf wie eine Erdbeerlimonade«, sagte von Aretin. »›Das Forbes Magazine hat Sie zur mächtigsten Frau der Welt gekürt, Frau Kanzlerin‹ – der Journalist musste es ihr sagen, weil sie es von ihm
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