Die Kanzlerin - Roman
gedacht, Pils.«
»Aber du denkst an alles, bevor du deinen Dolchstoss setzt.«
»Versteh nicht, was du meinst, KaHa.«
»Du glaubst«, sagte Pils, »dass ich dich zum Idioten machen könnte. Aber ich weiss, dass du mich für einen Idioten hältst. Beides stimmt nicht. Aber dass du den Dolch schon gezückt hast, das seh ich deinem Gesicht an. Weil du versuchst, harmlos auszuschauen. Aber das gelingt dir nicht.«
»Ich erdolche keinen«, sagte Schiller, »und schiessen kann ich auch nicht.«
»Dann können wir uns ja jetzt beide totlachen«, sagte Pils, ohne zu erwarten, dass Schiller das lustig finden könnte. Der sagte: »Du bezahlst?«
Bevor er ging, drehte sich Jeremias Schiller noch einmal um, schaute Pils an und sagte ihm ganz ruhig: »Verdammt noch mal, Pils, red endlich mit den Liberalen. Pfeiffer sitzt im Café gegenüber.«
T hilo Pfeiffer hatte mit einigem Amüsement den Streit der beiden Genossen beobachtet. Als dann Pils nach Schillers Abgang die Strasse überquerte und direkt auf ihn zusteuerte, war er aber irritiert.
»So trifft man sich«, sagte Pils und setzte sich. »Oder erwartest du einen deiner Parteifreunde? Die du ja, wenn ich mir dieses kleine Scherzchen erlauben darf, hast – im Gegensatz zu mir.«
»KaHa, Freundschaften sind was ganz anderes. Aber ich sitze da, sozusagen erwartungslos, und wäre ich jetzt ebenso scherzhaft gelaunt wie du, dann könnte ich sagen: In so einem erwartungslosen Zustand kommst du nicht unpassend.«
»Ich möchte die Scherzchen jetzt einmal weglassen, Thilo. Auf ein offenes Wort.«
»Ich höre, KaHa, und bin – wie alle Liberalen – grundsätzlich offen.«
»Wir haben seit meinem Amtsantritt kein einziges richtiges Gespräch miteinander geführt, was meine Schuld ist.«
»Ach«, sagte Thilo, »es wird so viel geredet, und vielleicht ist es ganz gut, wenn nicht immer alle mit allen reden, und am Ende läuft es dann doch wieder auf das Alte hinaus.«
»Theoderich, was spricht gegen Rot-Gelb-Grün?«
»Nichts, KaHa, nur dass es dafür leider keine Fürsprecher gibt. Vor einem Jahr noch hättest du es in der Hand gehabt, die Weichen anders zu stellen.«
»Die Weichen werden schon bald ohne mich gestellt.«
Der Chef der Liberalen schaute den Chef der Sozialdemokraten lange an, ohne etwas zu sagen.
»Theoderich, vielleicht werden die Weichen erst nach der Wahl gestellt«, sagte Pils und ereiferte sich: »Wenn du stur bleibst, gibt es wieder eine grosse Koalition, und nach einem Jahr wird Kater Wowi zusammen mit den Grünen und de la Mare die grosse Koalition platzen lassen, und deine Liberalen kommen nie mehr an die Macht.«
»KaHa, du willst mit mir über den Sturz der Kanzlerin reden, bevor ich mit ihr eine neue Regierung bilden konnte?«
»Mit mir redest du nicht darüber«, sagte Pils, »und das macht auch nichts. Weil ich sehr genau weiss, dass du mit Glock darüber reden wirst. Dies zu wissen ist zwar bitter für mich persönlich, aber hoffentlich zum Wohle der Partei.«
Dann schwieg Pils, und Pfeiffer sagte: »Die Umfragewerte für die Liberalen sind gut, und ich bezahle.«
P feiffer hatte sich mit Justus Flick von den Grünen verabredet und sich nun verspätet. Er atmete tief durch. Die Verspätung war ihm aber gerade recht, und er nahm sich vor, gleich zu Beginn des Gespräches auf dessen baldiges Ende hinzuweisen.
»Justus, ich habe mich zu entschuldigen, aber Pils ist mir über den Weg gelaufen, da braucht es schon ein paar tröstende Worte.«
Flick war nicht zu unterschätzen, was aber nichts daran änderte, dass Pfeiffer ihm zutiefst misstraute. Beide waren sie arrogant, beide wortgewandt, beide schwiegen sie eine ganze Weile, bis Flick die Initiative ergriff: »Glock putscht ihn einfach weg.«
»Ich kenne die Gerüchte«, sagte Pfeiffer.
»Dass du mich angerufen hast, darüber habe ich mich sehr gefreut, Theoderich.«
»Dann können wir ja gleich zur Sache kommen«, sagte Pfeiffer. »Die Konservativen brauchen uns Liberale, die Sozialdemokraten brauchen uns, und die Grünen möchten gern das Zünglein an der Waage spielen.«
»Sagen wir so«, sagte Flick, »die Konservativen brauchen uns Grüne vielleicht, die Sozialdemokraten brauchen uns Grüne ganz sicher, und die Liberalen zieren sich. Weil du glaubst, du schaffst es allein.«
»Die Grünen müssen sich entscheiden«, sagte Pfeiffer, machte eine längere Pause, schaute in das notorisch freche Gesicht von Justus Flick und hatte überhaupt keine Lust mehr, das Gespräch
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