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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Falsch, dachte Anarchisterix. Richtig wäre, von einer Entladehemmung zu sprechen. Und von einer Gesellschaft, in der die Menschen Entladehemmungen haben, aber permanent aufgeladen werden. Immer am Akku. Immer unter Strom. Aber selbst nie ein Blitz in all den Gewittern. Einmal sich entladen zwischen Wolke und Wolke. Oder Wolke und Erde. Oder, weil Blitze auch von der Erde ausgehen können, im Himmelreich einschlagen und sich bei den Engeln entladen.
    Die Maschine hatte abgehoben, und Anarchisterix drückte sich die Nasenflügel zu und pumpte Luft hinein. Druckausgleich. Wie wichtig dieser Druckausgleich war. Und der Druck war da, immer. Ohne Umgebungsdruck würden die Körperflüssigkeiten im Menschen austrocknen, der Mensch würde verdampfen. Das weiss ein Chemiker. Dass ein Stoff verdampft, wenn der Sättigungsdampfdruck identisch ist mit dem Luftdruck oder diesen gar übersteigt. Der Siededruck. Der Punkt, an dem ein Menschverbrennt wie dürres Holz. Wenn der Mensch keinen Saft und keine Kraft mehr hat.
    Andererseits, wenn der Mensch dem Druck nicht standhalten kann. Wenn der Mensch unter Hochspannung steht. Überdruck. Und ein Funke genügt, und der Mensch ist nicht mehr geerdet und fällt um, wie vom Blitz getroffen. Der Mensch verkohlt.
    Aber jetzt, in der Flugzeugkabine, war Unterdruck. Zu enge eustachische Röhren. Anarchisterix pumpte erneut Luft in seine zugedrückte Nase, doch die Ohren blieben verschlossen und schmerzten. Trommelfelle können platzen. Ein Mensch kann platzen, wenn die Druckverhältnisse nicht stimmen.
    Jodler hatte ihm gesimst: »CO 2 bei jedem Metzger. Kein Problem.« Aber es ging ja nicht um die Betäubung und Schlachtung von Viechern. Wir machen es mit Kohlenmonoxid, dachte Anarchisterix. Und vielleicht sassen Clara und Tricolor in der gleichen Maschine. Hardcore und Ecstasy waren mit dem Auto unterwegs nach St. Gallen.
    Der Stoff, aus dem die Träume sind. Ja, er war ein Träumer, einer, der jeden Tag in Erstaunen versetzt wurde und daraus seine Energie zog. Aber die meisten Leute hatten ihre Träume verraten. Wenn sie glücklich oder unglücklich waren, wenn sie sich verliebten, Schmerzen hatten oder depressiv waren, sagten sie: »Alles nur Chemie.« Ohne von Chemie auch nur die geringste Ahnung zu haben. Von den Stofflichkeiten. Davon, dass jeder Mensch Einfluss nehmen konnte auf seine eigene Stofflichkeit, auf seine Chemie, und es dabei meist nur darum ging, die eigene Chemie zu nutzen. Jeder Mensch ist sein eigenes chemisches Labor. Und zuständig für seinen Gashaushalt. Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff in allen Flüssigkeiten, Geweben, Knochen, Proteinen. Kohlenstoff, überall im Körper.
    Allein die Gase. Die Abgase der Menschen. Ihre Flüchtigkeit.
    Gedanken, die Anarchisterix kurz unterbrach, weil derOhrendruck immer grösser wurde und er nur für Sekunden einen Druckausgleich schaffen konnte. Zu. Er war zu und dachte: Ich bin dicht. Ich bin eine Dichtung. Was ihn zur Frage brachte, wie sich das Problem mit den Dichtungen lösen liess, den unterschiedlichen Ventilen. Jodler hatte ein paar beschafft, aber so heikel die ventiltechnischen Probleme auch sein mochten: Das Gefährlichste war die Umfüllung. Da durfte ihm kein Fehler passieren, und wer mit solchen Substanzen hantiert, darf keine Berechnungsfehler machen. Natürlich hatte er sich schlaugemacht, im Netz, im Anarchisten-Kochbuch, wobei: Ihre Aktion hatte Besonderheiten, die speziell zu berücksichtigen waren, und nicht alles würde exakt kalkulierbar sein. Er drückte sich wieder die Nase zu.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    Die Flugbegleiterin war sehr nett, aber Anarchisterix sagte: »Danke, mir geht es prima. Ich bin immer so dünn.« Das Scherzchen kam nicht an, und er nahm seine randlose Brille ab und schaute auf seine langen Finger. Früher hatte er dafür oft Komplimente bekommen. »Finger wie ein Klavierspieler«, sagten die Frauen. Und jetzt wurden seine Finger älter. Und Klavier spielte er immer noch nicht.

N ach der Pizza hatte Jodler es sich anders überlegt. »Wir gehen zu dir«, sagte er. »Wie heisst du?«
    »Angelika«, sagte sie und drückte ihr Geschlecht an seine Hand. Wie erwartet, hatte sie einen Smart, und Jodler sagte etwas Nettes dazu.
    Eine Zweizimmerwohnung, und Jodler suchte die Teddybären. Aber da hatte er sich geirrt. Die Wohnung war stilvoll nüchtern, mit kühlen Farbtönen und Mobiliar, das man in modernen Arztpraxen sieht, jedenfalls nicht bei IKEA gekauft. »Du verdienst gut«,

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