Die Kanzlerin - Roman
lassen. Neuwahlen jetzt, da wäre vielleicht sogar eine Mehrheit mit den Liberalen möglich. Es wäre das Ende der rot-roten Spielchen von Sozis und Kommunisten.
Adi Fröhlich strahlte schon wieder, woraus sich allerdings nicht zwingend schliessen liess, dass er solche Pläne befürwortete. Er lächelte auch immer, wenn sie das Gegenteil sagte. Und exakt so einen Generalsekretär brauchte sie, auch wenn manche sie deswegen als rückgratlos bezeichneten und ihn oft lächerlich machten als pures Sprachrohr von Partei und Kanzlerin. Sie mochte ihn. Adi sagte Politik auf wie ein Gedicht. Wie ein Kind, das eine lange lyrische Strophe auswendig gelernt hat und dann beim Aufsagen so aufgeregt ist, dass es gar nicht versteht, was es sagt. Aber wenn es ihm gelingt, das Gedicht fehlerlos aufzusagen, dann ist es so stolz, dass es die Herzen anrührt. Und dieser Generalsekretär war so einer, der nie etwas Falsches sagte, einer, bei dem sich Politik auch dann reimte, wenn sie konfus und voller Bruchstellen war. Er war wirklich rührend in seinem Bemühen, aber leider, dachte die Kanzlerin, leider hat er nie mehr als die erste Strophe der Politik gelernt.
»Also, Dame, meine Herren: Die Linke hat sich gestern mit unseren sozialdemokratischen Freunden getroffen. Die Zeit schreibt von einem Geheimtreffen. Was ist davon zu halten? Zwicki?«
Fraktionschef Zwicker hatte plötzlich einen ausgetrockneten Mund. Das Personal hatte vergessen, Mineralwasser auf den Tisch zu stellen.
»Vielleicht der Valentin zuerst?« Hendricks grinste. Und wenn er grinste, sah er aus wie ein Lausbube. Und das war er auch. Allerdings war er jetzt ein grosser Lausbube, und sie war auf ihn angewiesen.Also liess sie ihn grinsen. »Also dann, grosser Valentin: Will die SPD uns ausbremsen? 80 Prozent der Deutschen glauben, dass die Sozialdemokraten mit den Kommunisten regieren würden, im Zweifelsfall. Warum sollte die SPD das nicht tun? Und warum sollten wir daran zweifeln, Valentin?«
»Sie würde sich damit endgültig als Partei der Mitte verabschieden und auf unabsehbare Zeit ihren Status als Volkspartei verlieren, Frau Kanzlerin.«
Zwicker nickte. Die Medien waren sich einig darin, dass er ihr gegenüber absolut loyal war, einer der engsten Vertrauten, auf den sie sich bedingungslos verlassen konnte. Aber so einfach war das nicht mit Zwicki. Die Kanzlerin schaute ihn an. Er netzte sich die Lippen. Dass ihr zu Ohren gekommen war, dass er sich kürzlich mit zwei Unions-Ministerpräsidenten getroffen hatte, hinter ihrem Rücken und ohne sie zumindest im Nachhinein darüber zu informieren, wusste er nicht. Aber dass sie immer etwas wusste, von dem er nichts wusste, das wusste er, und genau so schaute sie ihn jetzt an. »Herr Fraktionschef, würden Sie die SPD-Minister bei Gelegenheit entlassen? Und hätten Sie allenfalls sogar eine Idee, bei welcher Gelegenheit das sein könnte?«
Zwicker blinzelte, ein Tick. »Die SPD spielt mit ähnlichen Gedanken, wie Sie wissen, Frau Kanzlerin. Sie könnte die Initiative ergreifen und die Koalition platzen lassen, und wir wären dann in der Defensive. Andererseits: Zuerst schiesst immer der Böse, so sehen das die Leute.«
Zwicker weckte bei ihr immer zwiespältige Gefühle. Aber sie mochte seine Zweideutigkeit, wie sie überhaupt Zweideutigkeiten schätzte. Es animierte sie. Denn wenn etwas zweideutig war, dann gab es immerhin etwas zu deuten, dann bedeutete das zumindest, dass etwas offenbar eine Bedeutung hatte, die man ergründen und sich erschliessen musste. Und so war das auch bei Zwicki. Man wusste bei ihm zwar nicht immer sofort, welche Bedeutung erhatte, aber er hatte eine, daran gab es keinen Zweifel. »Wir brauchen das an dieser Stelle auch nicht mehr zu vertiefen, meine Herren, wobei, meine Dame: Ihre Meinung würde mich schon auch interessieren.«
Die Dame Troost hatte aber offenbar nicht richtig zugehört und schüttelte den Kopf.
»Wenn die Vizechefin meiner Partei den Kopf schüttelt, dann möchte ich im Prinzip schon wissen, mit welchen Gedanken der Vorsitzenden sie stellvertretenderweise nicht einverstanden ist.« Die Kanzlerin lächelte Frau Troost so lange an, bis deren Kopf zur Ruhe kam, und fuhr fort: »Wichtig scheint, dass es in dieser Frage keinerlei Differenzen gibt. Sollte es in Bayern also Haltungen geben, die ich kennen sollte, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden.«
Valentin Hendricks, das bayerische Mannsbild, schüttelte ebenfalls den Kopf.
»Offenbar haben
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