Die Kanzlerin - Roman
Heidenreich, verbinden Sie mich bitte mit dem Kanzleramtsminister, und bitte sofort.«
Frau Heidenreich war eine wirklich gute Büroleiterin, dachte die Kanzlerin, und vor allem diskret genug, noch nie ein Wort verloren zu haben über die täglichen Kuchenaufträge, die sie ihr erteilte.
»Herr Haxer, ich bitte darum, mir keine Fragen zu stellen, sondern einfach meinem Wunsch nachzukommen und mir eine neue Handynummer zu besorgen. Ich werde auf meiner alten Nummer nach wie vor erreichbar sein, weil ich ja nach wie vor auf alte Freunde und Kontakte angewiesen bin, wozu ich natürlich auch Sie gern zähle, Herr Haxer, aber ich meine: Mittlerweile kennt schon die ganze Fussballnationalmannschaft meine Handynummer, und vielleicht hat die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland einfach das Bedürfnis, eine Nummer zu haben, die sie vorerst vielleicht mit gar niemandem teilt. Ich möchte gern ein Handy haben, das nicht klingelt und nicht zwitschert, Herr Haxer, zu meiner Beruhigung sozusagen.«
»Selbstverständlich, Frau Kanzlerin, in ein paar Stunden haben Sie eine neue Nummer.«
»Ich will nicht nur eine neue Nummer, sondern auch ein neues Handy. Und zwar das kleine rote von Sony Ericsson.«
»Es gibt auch ein neues iPhone.«
»Ich bin informiert, Herr Haxer, und will das rote. Früher telefonierten die Staatschefs in manchen Situationen mit einem roten Telefon, und daran möchte ich gern erinnert werden. Und da mein rotes Handy nie klingeln wird, heisst das auch, dass es keine Krise gibt. Und Krisen wollen wir doch alle nicht, nicht wahr?«
Ihre Geheimnistuerei ist unangemessen, dachte er. Sie verpflichtete ihn zum Vollzug einer Angelegenheit, die so selbstverständlich nicht war. Sie wusste, dass er sich nun in einer unangenehmen Situation befand, und vermutlich amüsierte sie das sogar. Jahre zuvor hatte sie sich hinter ihn gestellt, als es in Sachsen Leute gab, die ihn in eine Korruptionsaffäre verwickelt sehen wollten, die es nie gegeben hatte. Verrat von Dienstgeheimnissen, Amtsmissbrauch, Kinderprostitution, organisierte Kriminalität: Monatelang sah er sich Verdächtigungen ausgesetzt, die sich letztlich alle in Luft auflösten. Doch seither hatte er manchmal den Eindruck, dass die Kanzlerin ihm nicht immer den nötigen Respekt entgegenbrachte und es bei Gesprächen manchmal quälend lange Pausen gab, weil sie plötzlich nichts mehr sagte oder über Dinge sprach, die bei ihm ein Gefühl von Befangenheit auslösten. Sosehr die Kanzlerin dafür gelobt wurde, auf internationalem Parkett so manche Verkrampfung schon gelöst zu haben, dachte er, so bedrückend verschlossen konnte sie in ihrem eigenen Haus agieren.
»Mögen Sie Mozart, Herr Minister?«
»Ja, natürlich«, sagte er. Was hätte er sonst sagen sollen?
» Die Entführung aus dem Serail auch?«
»Ja«, sagte Haxer, und weil er mit einer Nachfrage rechnete, versuchte er, die Geschichte blitzschnell zu rekonstruieren, ein Zitat zu finden mindestens, was ihm auch gelang: » Welche Wonne, welche Lust, eine wunderschöne Arie, Frau Kanzlerin.«
» Erst geköpft, dann gehangen, dann gespiesst auf heissen Stangen – oder heisst es: gespiesst auf heisse Stangen, Herr Minister? Wie auch immer: ein Finale kann auch sehr unschön sein, selbst bei Mozart.«
Sie hatte den Hörer aufgelegt, grusslos, und nun galt es, zuerst abzuklären, ob er die Abteilung 6 zu informieren hatte. Die Nachrichtendienste mussten das wissen, denn was Dienste nicht wissen, das wollen sie in Erfahrung bringen, und dieses Risiko wollte Haxer nicht eingehen. Warum auch immer die Kanzlerin eine neue Handynummer verlangte: dass er den Grund dafür nicht kannte, machte diese Sache nicht harmloser. Man müsste wissen, mit wem die Kanzlerin in letzter Zeit telefoniert hat, dachte er. Und wenn die Dienste das wollten, dann konnten sie das auch wissen.
E s war gegen seine Gewohnheit, gegen die internen Vorschriften, und es war gefährlich. Niemand in der Redaktion wusste von seinen Recherchen. Als Radiovolontär war er ein Nichts, und das war seine Chance. Strassenumfragen, Verkehrsmeldungen sortieren, Promis organisieren, originelle Nachrichten aus dem Netz fischen für die neue Morningshow mit Haacke & Co, Flyer verteilen. Seit Wochen schon lief sich Axel Nickel die Hacken ab für diese Wechselaktion des Senders. »Berlin wechselt zur neuen Morningshow auf 94,3 rs2. Wir bedanken uns bei Ihnen mit 10 000 Euro Wechselgeld.« Wer die Kohle haben wollte, musste in der
Weitere Kostenlose Bücher