Die Kanzlerin - Roman
ist Politik nämlich eine Sache, die wir uns um ihrer selbst willen zu leisten haben, und ich zweifle nicht daran, dass Sie mir auch auf diesem Abstraktionsgrad noch folgen können.
Wobei ich das eben Gesagte auch sehr viel einfacher ausdrückenkann: In der Politik geht es um Politik und sonst um gar nichts. Sachgeschäfte dienen als Vorwände fast immer – wenn sie auch unverzichtbar sind, wie ich hier gern einräume. Und wer uns Politikern bei Gelegenheit vorwirft, wir würden nur ›symbolische‹ Politik machen, hat nichts, aber auch gar nichts verstanden.
Ja, wir machen Gesetze. Und ja, mit diesen Gesetzen werden bestimmte Dinge sehr präzise und konkret geregelt. Wesentlicher aber ist die symbolische Bedeutung dieser Gesetze, die Tatsache, dass das Volk uns dazu ermächtigt hat, Gesetze zu machen und diese in der Regel dann auch zu respektieren. Aber stellen Sie sich einmal vor, dass jede und jeder sich tatsächlich an alle Gesetze halten würde. So ist es nicht, das wissen wir alle, aber was ich damit sagen will: Gesetz ist Gesetz, heisst es, und damit wird deutlich, dass auch das Gesetz eine dominierende symbolische Grösse hat.
Meine Damen und Herren, wir Politiker stehen im Ruf, viel zu reden, aber nichts oder nur sehr wenig zu tun. Ein Vorwurf, den ich direkt an Sie weitergeben könnte in der Hoffnung, dass Sie mir diese kleine ironische Bemerkung nicht verübeln. Weil: Politiker sind keine Macher, sondern sie reden über das Machbare, genauso ist es. Würden wir nicht über das Machbare reden, es würde nie gemacht. Und würden wir nicht sagen, wie unserer Meinung nach etwas gemacht werden muss, wer weiss, was dann gemacht würde von all den Machern, die uns als Sprücheklopfer denunzieren. Der Punkt dieser Überlegung ist: Politiker reden nicht zuletzt so viel, damit möglichst wenig passiert. ›Solange geredet wird, wird nicht geschossen‹ – Sie alle kennen diesen Satz aus der Diplomatie, der für die ganze Politik seine Geltung hat. Politiker handeln also nicht, es ist zumindest nicht ihre vorrangige Aufgabe.
Meine lieben Redenschreiberinnen und Redenschreiber, die meisten von Ihnen werden sich wohl über diese Rede wundern. Über den Inhalt dieser Rede ebenso wie über ihre Form. Undnicht zuletzt über die Sprache, deren sich die Rednerin bedient. Redet die Kanzlerin so? Oder wäre es denkbar, dass ich mich dazu entschlossen habe, vor Ihnen eine Rede zu halten, die eine hier im Raum anwesende Sie oder ein Er für mich geschrieben hat? Und wäre das so, wäre das nur unverschämt oder nur logisch? Konsequent jedenfalls wäre es, und damit möchte ich Sie herzlich dazu einladen, sich darüber Gedanken zu machen, welcher Kollegin oder welchem Kollegen eine solche Rede am ehesten zuzutrauen wäre.
Gerne möchte ich Sie noch etwas mehr verunsichern. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, dass dies eine Rede ist, die von der Kanzlerin selbst geschrieben wurde, und das von A bis Z. Stellen Sie sich also vor, dass Sie für diese Kanzlerin bis jetzt Reden geschrieben haben, die sich von dieser Rede hier wesentlich unterscheiden, so sehr, dass es Ihnen auffällt und Ihnen das, was ich jetzt sage, vielleicht sogar fremd erscheint. Dann wäre es ja möglich, dass Sie mir in all den Jahren doch einen falschen Schnabel haben wachsen lassen.
Sie haben jetzt also die Wahl: Sie hören sich eine Rede an, die Sie selbst geschrieben haben – oder aber diese Rede ist die erste originale Rede Ihrer Kanzlerin. Ob sie in diesem Fall ein Vorbild für Sie sein könnte, weiss ich nicht, doch weiss ich sehr genau, dass Sie stolz auf sich sein können, wenn Sie mir eine solche Rede geschrieben hätten.
Liebe Rednerinnen und Redner, manchmal kommt man so ins Reden und vergisst die Zeit. Und ich gebe gerne zu, dass es sehr kurzweilig war bei Ihnen, ich mich aber jetzt ein bisschen zügeln muss, um nicht zu redselig zu werden. Sie sind Profis und wissen, dass alles Gesagte relativ unwichtig ist, und darum werden Sie sich nach einem hoffentlich freundlichen Schlussapplaus vor allem darüber unterhalten, worüber ich nicht geredet habe. Über so vieles habe ich nicht geredet, so viel kann ich Ihnen sagen.Wobei eine gute Rede eben auszeichnet, dass sie nicht nur mit einem Minimum an Inhalt auskommt, sondern auch mit einem Minimum an Demagogie. Reden sollen nicht manipulieren, sondern animieren oder allenfalls auch provozieren. Das ist die Kunst, die Sie beherrschen, meine Damen und Herren, und ich übe hier nur ein
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