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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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bisschen. Damit ich mich das nächste Mal ohne Manuskript vor Sie hinstellen kann. Was ich Ihnen gerne, und das in freier Rede, jetzt demonstrieren möchte.
    Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, sozusagen, sei auch dies noch gesagt: Man kann sich auch etwas einreden. Versuchen Sie bitte nie, einem Politiker etwas einzureden. Was Sie sich aber einreden dürfen: dass Reden etwas bewirken können. Diese Überzeugung brauchen Sie selbst dann, wenn die Politik Sie täglich enttäuschen sollte. Glauben Sie an die Kraft der Rede, namentlich dann, wenn eine Rede von einem kräftigen Gedanken genährt ist. Weil es einfach nicht stimmt, dass es Fakten gibt, die für sich selbst sprechen. Und es gibt auch keine Wähler, die für sich selbst sprechen. Es gibt keine Menschen, die für sich selbst sprechen oder denen das genügen könnte. Nichts spricht für sich selbst, alles braucht seine Fürsprecher und Vorsprecher und Sprecher. Es geht darum, zu ordnen, zu sortieren und zu interpretieren. Sprache heisst auch Selektion. Als Rednerinnen und Redner sind Sie Selekteure. Oder etwas weniger angreifbar: Redner sind keine Sprachrohre, sondern Sprachfilter. Ihre Aufgabe ist es, Sprache zu destillieren und eine Wirklichkeit zu kredenzen, die mitteilbar ist. Und das Wort ›mitteilbar‹ habe ich dick unterstrichen – Sie sehen ja, dass ich längst wieder an meinem Rednerpult stehe, vor einem Manuskript, dessen Herkunft, wie gesagt, vorläufig noch ungeklärt ist.
    Aber, und jetzt rede ich ganz offen zu Ihnen: Nicht alles, was wichtig ist, können wir den Leuten auch mitteilen, jedenfalls nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Voraussetzung für jedes Verständnisist, dass die Leute zuhören, wenn wir ihnen etwas mitteilen. Und diesen Zustand des Zuhörens erreichen wir manchmal nur, wenn wir, um es drastisch zu formulieren, die Leute zuerst zum Schweigen gebracht haben. Und wer schon in bayerischen Bierzelten oder an anderen geselligen Orten gesprochen hat, weiss, wovon ich rede. Wir müssen manchmal also sehr laut reden, im Befehlston, damit die Leute – wenn auch nur kurzfristig, gottlob! – verstummen. Aber das muss manchmal sein, weil es in unserer Gesellschaft sonst ein einziges Durcheinandergerede gäbe, was letztlich fatal wäre und anarchische Zustände ermöglichen könnte.
    Liebe Redenschreiber und -schreiberinnen, ich bitte Sie, konkrete Reden zu schreiben. Wir müssen konkret reden, weil, wer redet, diszipliniert. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Druck erzeugt oder Dampf ablässt oder einen Witz erzählt – was mir im Übrigen weniger gut liegt als einigen Kollegen im Kabinett, also bitte ersparen Sie mir das, ich brauche keine Pointen, um fröhlich gestimmt zu sein. Aber ich möchte den Faden noch einmal aufnehmen, den ich gesponnen habe oder jemand von Ihnen mir gesponnen hat, und Sie um Demut bitten bei Ihrer Arbeit. Wer das Volk zum Schweigen bringt, braucht gute Gründe dafür und die Einsicht, dass die Politik dem Volk immer nur sehr kurzfristig dazwischenreden kann. Das Fazit lautet: Lasst die Politiker reden, und lasst die Leute reden. Das Volk verdient Ihre Aufmerksamkeit genauso wie die Kanzlerin, also hören Sie hin. Hören Sie genau zu. Wie Sie alle wissen, habe ich einen Schweizer als persönlichen Berater engagiert. Und von ihm habe ich gelernt, dass das Volk ein Sammelsurium von lauter Individuen ist, die sich, spätestens ab der Pubertät, im Prinzip gar nichts sagen lassen wollen. Weder vom Chef noch vom Ehemann, noch von einer Partei oder einer Kanzlerin. Der Einzelne lässt sich im Regelfall also nur dann etwas sagen, wenn wir ihn sehr höflich um seine Aufmerksamkeit bitten.
    Sollte es jetzt noch vereinzelte Zuhörerinnen und Zuhörer geben, dann möchte ich mich bei Ihnen sehr herzlich für Ihre lange Aufmerksamkeit bedanken und meiner Rede am Ende nun doch noch eine Überschrift geben, ein Motto, das da lautet: Reden und reden lassen. Im Namen aller, für die Sie Reden verfassen, bedanke ich mich in diesem Sinne für Ihre Toleranz und warte nun gespannt auf Ihren Applaus, der meiner oder Ihrer Rede gilt.«

L oderer war nicht unzufrieden mit sich und ging online. Noch keine Post von Frau Male. Klick auf sueddeutsche.de, Klick auf Spiegel Online, auf Bild.de, auf taz.de und FAZ.NET, auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, auf das Bild des deutschen Nationaltrainers, der sich während eines Spiels eine Zigarette anzündet, auf die Kanzlerin, die Schweini etwas ins Ohr flüstert, auf das

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