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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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hinweisen, dass ich dazu neige, mich gelegentlich zu verplappern. Dennoch lege ich Ihnen dringend ans Herz: Versuchen Sie nie, Schnäbel auszutauschen. Ich weiss, dass es Ihr Bestreben ist, uns massgeschneiderte Reden auf den Tisch zu legen. Aber selbst wenn das gelingt – und es gelingt Ihnen sehr häufig –, müssen wir uns eine solche Rede aneignen können. Dazu aber, liebe Vorrednerinnen und Vorredner, fehlt uns oft schlicht die Zeit. Wir sind im Bundestag und hören einen Zwischenruf, wir lassen uns ablenken und schauen plötzlich auf ein fremdes Manuskript. Wir wissen nicht, was wir zuletzt gesagt haben, und was der Rede kurzer Sinn ist, das wissen wir oft auch nicht. Es sind unerfreuliche Augenblicke – glauben Sie mir –, wenn manGesagtes wiederholen muss, um sich zu sammeln und Zeit zu gewinnen, bis es weitergeht im Text, in Ihrem Text, um den Sie sich so bemüht haben, und am Pult steht eine, die stammelt und stottert – wobei ich das nicht nur auf mich persönlich beziehen möchte.
    Schreiben Sie schnabelgerecht, habe ich gesagt, und meinte damit auch: Sagen Sie uns nichts vor in der Erwartung, dass wir Ihnen bloss nachzuplappern brauchen und die Rede gelingt. Würden wir das tun, es wäre für uns und Sie ein Armutszeugnis. Manchmal liefern Sie uns Vorlagen, manchmal nur Stichworte und manchmal ausgereifte Reden, aber immer gilt: Stellen Sie sich, während Sie eine Rede schreiben, immer vor, dass Ihnen diese Rede diktiert wird, zum Beispiel von mir. Verstehen Sie das aber bitte nicht falsch: Ich kann ja nicht bei jedem Diktat persönlich anwesend sein. Da sind Ihre Phantasie, Ihr Einfühlungsvermögen und Ihre sachliche Kompetenz gefragt. Wobei es eben nicht genügt, sich als Redenschreiber allein auf eine Sache zu konzentrieren. Wir machen Politik, und wie Sie alle wissen, kann da eine Sache auch nur ein Vorwand sein – entsprechend ist diese Sache zu gewichten. Nehmen Sie es als kleine Sternstunden der Politik, wenn es ausnahmsweise tatsächlich um eine Sache geht, die diesen Namen auch verdient.
    Aber Politik, um es salopp zu sagen, ist oft eine ganz andere Sache. Als Politiker haben wir es mit Gefühlen zu tun, mit Emotionen, mit Stimmungen, mit der Dynamik von Entwicklungen, die uns mitreissen und Dinge sagen lassen, die wir vielleicht schon kurze Zeit später bedauern. Und nicht selten haben wir es in der Politik mit Hintergründen zu tun, die man nicht eigentlich als real bezeichnen kann. Ich denke dabei jetzt weniger an Fiktives als an Unproportionales, Überhitztes und vor allem – an Undurchschaubares. Ich kann Ihnen als Kanzlerin dieses Landes sagen: Auch ich durchschaue Politik nur ausnahmsweise, auch ich habe keineLampe, mit der ich alle Hintergründe ausleuchten kann, weil in der Politik sehr oft das Irrationale im Vordergrund steht. Oder anders gesagt: weil in der Politik tatsächlich der Mensch im Vordergrund steht. Und dass Menschen tendenziell nicht rational handeln und vom Unbewussten beherrscht werden, das hat uns Freud gelehrt, und bis jetzt hat mich niemand eines Besseren belehrt.
    Nun habe ich, weil mich das Thema plötzlich so gepackt hat, anscheinend völlig vergessen, eine kleine Pointe einzustreuen oder eine kleine Anekdote, etwas Anschauliches, etwas, was vielleicht leichter verdaulich ist als das, was ich Ihnen bis jetzt gesagt habe. Es ist mir auch völlig bewusst, dass Sie mir eine solche Rede nie geschrieben hätten, und ich stimme Ihnen darin zu, dass ich das tatsächlich als Zumutung empfunden hätte. Sie, meine Damen und Herren, können es nicht nur besser als ich, Sie müssen es auch besser können. Aber lassen Sie mich noch eine Weile verharren bei der Irrationalität unseres Geschäfts. Dass Fussball ein Glücksspiel ist, weiss jeder. Dass uns Fussball aber trotzdem viel Freude bereitet, ist ebenfalls gewiss. Und exakt so verhält es sich auch mit Politik. Politik ist ein Glücksspiel, und manchmal verliert man, das gehört dazu. Und unsere Macht, Einfluss zu nehmen auf dieses Spiel, ist bekanntlich begrenzt.
    Politik ist – Sie hören, ich bin entschlossen, sachlich zu bleiben, bei der Rede zu bleiben, bei meiner Rede zu bleiben, auch dann, wenn Sie an meiner Stelle eine bessere Rede gehalten hätten, zweifellos –, Politik ist an sich Darstellung und Verkörperung, also nicht Inhalt und Substanz. Weil das, was Sache ist, das kann Politik gar nicht leisten. Was die Bedeutung von Politik aber in keinster Weise mindert. In einer Demokratie zumindest

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