Die Kanzlerin - Roman
bedankt. Es hat ihm gutgetan.«
»Du berührst fremde Haut …«
»Jede Haut ist anders. Ich spüre den Rhythmus. Ich habe eine sehr sanfte Art, Schmerzpunkte zu behandeln …«
»Berühr meine Haut …«
»Ich fühle die Muskelverklebungen und merke, wie sich das löst unter meinen Fingern. Und ich glaube, dass ich bei dir eine L4- oder L5-Problematik behandeln müsste …«
»Lendenwirbel … was fehlt mir?«
»Wenn jemand eine Trennung hinter sich hat oder seine Sexualität nicht auslebt … Beziehungsprobleme … L4/L5-Männer platzen oft fast vor Geilheit, können aber nicht kommen …«
»Und diesen Männern hilfst du. Frau Male hat heilende, heisse Hände …«
»Man sagt: Jeder Mensch hat eine gebende und eine nehmende Hand. Und ich habe einen Beruf, bei dem es zwei gebende Hände braucht.«
»Dir fehlt also eine Hand? Eine Hand für dich? Angenommen, du hättest eine solche Hand – was würde sie jetzt tun, diese Hand, die nehmende?«
»Wenn ich jetzt in einem Restaurant sitzen würde, dann würde ich unter dem Tisch meinen Rock hochziehen und mit einem Typ plaudern, der am Nebentisch sitzt, neben seinem Aktenköfferchen … Und mein Dildo liegt zwischen meinen Beinen, so dass ich keine dritte Hand brauche und doch sanft und stetig massiert werde, seit Stunden schon. Controller, mein Kitzler ist geschwollen, alles ist feucht, ich habe Lust.«
Immer wieder gab es Pausen, die Loderer misstrauisch machten. Minutenlange Pausen.
»Könnte es sein, Frau Male, dass du in diesem Augenblick nichtnur mit mir, sondern noch mit ein paar anderen Typen gleichzeitig kommunizierst und deshalb fast überläufst?«
Loderer wartete, er brannte, zwanzig Minuten lang. Bis sie schrieb: »Ich muss leider Schluss machen für heute, Controller, du weisst genug für den Moment, um es dir noch richtig schön zu machen. Ich habe meine Wünsche und Phantasien ausgelebt und wünsche dir ein ebenso grosses Vergnügen. Bis morgen, deine Frau Male. PS: Fingerfood macht mich an. Die Finger über den Mund fahren lassen, die Zunge an den Fingerspitzen spüren. Saugen, beissen, das elektrisiert mich.«
E ine unruhige Nacht. Mit Träumen, an die Loderer sich nicht erinnern wollte. Er musste sich dazu zwingen, zuerst zu duschen, die Zähne zu putzen und Kaffee zu machen, bevor er den Computer hochfuhr und auf leute.com klickte.
»Zimmerleute tragen die geilsten Klamotten. Männer in Schwarz, muskulös, verschwitzt, die Werkzeuge im Halfter. Bei solchen Typen feiert deine Bitch Geburtstag. Ich wünsch dir einen schönen Tag und hoffe, dass dir dein harter Schwanz nicht in die Quere kommt. Frau Male grüsst.«
»Frau Male, du bist total aufgeladen. Du bist pausenlos gekommen in dieser Nacht, aber du bist schon wieder tropfnass. Du kannst stolz sein auf deine Möse. Ich aber hatte eine anstrengende Nacht. Also später mehr vom Controller. PS: Trage heute ein paar schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt, schwarze Turnschuhe, und auch mein Portemonnaie ist schwarz und prall.«
Loderer war pünktlich im Büro, aufgekratzt und bereit für Reden aller Art. Aber die Morgenrunde im Bundespresseamt hatte nur wenige Aufträge, und die hatten sich andere geangelt. Zeit also, sich wieder einmal eine Rede auszudenken. Er musste sichablenken. Er musste schreiben. Warum nicht eine Rede für Redenschreiber? Die Kanzlerin könnte sie halten.
»Die Aufgabe ist nicht leicht, aber als ich die Anfrage erhalten habe, da war ich von der Idee spontan angetan: Eine Rede zu halten vor Leuten, die professionell Reden schreiben, das ist eine grosse Herausforderung. Und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass Sie nicht automatisch an meinen Lippen hängen werden, nur weil jetzt die Kanzlerin zu Ihnen spricht, sondern dass Sie sich bei jeder Redepassage fragen werden: Ist das gut gesagt? Oder hätte man das auch besser sagen können? Habe ich den richtigen Einstieg in diese Rede vielleicht schon verpasst und es versäumt, mit einem pointierteren Anfang Ihre Aufmerksamkeit zu wecken?
Was aber nicht mein Anspruch ist: Ich will keine Rede halten, über die Sie noch lange reden werden. Dazu ist meine Redebegabung zu klein, gemessen an dem, was Sie zu leisten imstande sind. Auch wenn, und das ist mir ein zentrales Anliegen, das gleich zu Beginn ganz klar zu sagen: Auch wenn jeder und jede letztlich so reden soll, wie er oder sie das kann, weil jedem sein eigener Schnabel gewachsen ist. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie,
müssigerweise, darauf
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