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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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kenne, und da ich sehr ungeduldig bin, versuche ich die Zeit des Wartens durch etwas anderes auszufüllen. Vielleicht bis bald, Frau Male.«
    Wartezeiten mit »etwas anderem« ausfüllen, wie originell. Und eine Lockerheit, die »klebengeblieben« ist. Und hatte er gesagt, dass er nicht mehr lache? Und gingen die guten Menschen ins Museum, und die schlechten lagen auf Sofas rum? Und schliesslich die Floskel »von Natur aus Pessimist«. Nein, er würde nicht mehr schreiben. Und schrieb Minuten später dann doch: »Frau Male, das Leben ist kurz und wird immer kürzer. Ich funktioniere, aber ich lebe nicht mehr. Ich rede nur noch. Ich bin wie eine Schallwelle. Du hörst von mir, obwohl es mich schon nicht mehr gibt. Aber vielleicht kannst du das gut, leben und lebendig sein? Grüsse vom Controller.«
    »Herr Controller, lebendig zu sein gelingt mir meistens ganz gut, wobei es auch eine Kehrseite gibt. Zum Beispiel jetzt könnte ich jemanden zum Anlehnen gebrauchen. Hast du so eine Person, oder machst du das alles mit dir allein aus?«
    Er war todmüde und schrieb: »Die Vorstellung, mich jetzt an dich zu lehnen – nicht schlecht, Frau Male. Ich schreib dir morgen wieder.«

» M onsieur Kranich?«
    »Oui, Madame Kanzlerin.«
    »Ich habe wenig geschlafen. Und ich habe schlechte Träume gehabt. Ich mag diese Kurzflüge nicht. Und vor allem, Kranich, ich mag keine kurzen Männer. Chirac war ein grosser Mann. Vielleicht kein ganz so grosser Politiker, aber er war ein grosser Mann, und ich glaube, dass ich einen ganz guten Draht zu ihm hatte. Wenn Sie sich die grosse Politik anschauen, Herr Kranich, und wenn Sie darüber hinaus noch ein gewisses kulturelles Interessehaben sollten, dann können Sie die internationale Politik durchaus mit einem Konzert vergleichen. Wobei ich zugeben muss, dass nur sehr selten ein Sir Rattle am Dirigentenpult steht, sondern vielmehr viele kleine Konzertmeister mehr oder weniger gelungene Orchesterproben abhalten und man also leider in aller Regel von Katzenmusik reden muss. Wissen Sie überhaupt, woher der Ausdruck Katzenmusik kommt?«
    »Nein, Madame.«
    »Ihre Ironie ist völlig unangebracht. Und das nicht zuletzt deshalb, weil Ironie bekanntlich nicht zu Ihren herausragenden Qualitäten gehört. Aber so ist das ja bei vielen Schweizern, was mich wieder einmal fragen lässt, warum ich ausgerechnet einen Schweizer als persönlichen Berater engagiert habe. Wissen Sie, warum?«
    »Sie schätzen neutrale Positionen.«
    »Unsinn, Kranich. Weder sind die Schweizer neutral, noch schätze ich neutrale Positionen. Ich schätze es, wenn jemand Position bezieht, also eben nicht neutral ist. Dies allerdings nur, wenn es auch begründet ist. Und im Gegensatz zu meinem Ruf laviere ich auch nicht, sondern ich wäge ab. In der Politik werden Gewichte gestemmt, Herr Kranich, und glauben Sie mir: Meistens sind die zu stemmenden Gewichte erheblich grösser als das Gewicht derjenigen, die sie stemmen sollten. Wo war ich stehengeblieben, Schweizer Kranich?«
    »Bei der Katzenmusik.«
    »Ach ja, aber sagen Sie mir doch bitte vorher, bin ich denn stehengeblieben als Kanzlerin, oder habe ich Fortschritte gemacht in diesen Jahren?«
    »Menschlich oder politisch?«
    »Herr Kranich, über das Menschsein wollen wir vielleicht ein andermal reden.«
    »Politisch sagen alle Umfragen, dass Sie …«
    »Und was sagen Sie?«
    »Die Situation ist labil. Sie dominieren, Frau Kanzlerin, aber die Frage stellt sich: wen?«
    »Manchmal, Herr Kranich, können Sie sogar richtig intelligente Sätze sagen und mich darum sicher noch einmal daran erinnern, was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte.«
    »Sie waren in Paris, Sie haben Nicolas Sarkozy getroffen, und das hat Sie an Katzenmusik erinnert.«
    »So ist es, Kranich, und dass es zwischen schlechten Träumen und einem Parisbesuch bei Monsieur Sarkozy einen Kausalzusammenhang gibt, das dürfte Ihnen nicht verschlossen geblieben sein. Es war ein wunderschöner Frühsommerabend, Monsieur Kranich. Aber leider musste ich mich dabei überwiegend mit einem dieser zu kurz geratenen Männer unterhalten, die ich, wie gesagt, nicht leiden mag. Nicolas ist an sich ja ein schöner Name, aber eigentlich ist er ein Nikolaus. Er möchte gern ein Sankt Nikolaus sein, einer, der mit Säcken voller Geschenke in erwartungsfrohe Kinderaugen blickt. Aber ich sehe immer nur seine Rute. Er möchte gern überraschen, aber er ist nur unberechenbar. Kranich, ich spüre, dass Sie sich unwohl fühlen. Und

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