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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Österreich und selbst der Schweiz, Kranich, wobei wir jetzt das Thema Steuerhinterziehung nicht weiter vertiefen wollen, es gibt die wachsende Bedeutung guter Beziehungen zu China oder Pakistan – kurzgesagt: Es gibt vieles, was Nationen und Völker verbindet, weil dahinter ein Interesse steckt. Aber Monsieur Sarko interessiert mich persönlich überhaupt nicht. Wenn, dann verbindet uns am ehesten noch der politische Ehrgeiz, wobei ich mich da wohl mit ihm nicht messen kann: Ich war schon froh, dass er während unserer Unterhaltung beim Dinner nicht platzte vor Ehrgeiz, weil dann Frankreich keine Ehre mehr gehabt hätte und nur der Geiz eines Mannes geblieben wäre, der im Prinzip nicht teilen will – mit niemandem. Was eine schlechte Voraussetzung ist, wenn man Politik machen möchte. Dazu kommt, wie erwähnt, sein Parfum, das eine Dynamik versprüht, die Europa wirklich nicht gebrauchen kann. Wobei, Kranich, wir gehen durchaus optimistisch an diese Sache. Wir sind als Politiker zwar nicht verpflichtet, die Menschen glücklich zu machen, aber Europa sieht das anders. Es gibt eine Berliner Erklärung – mit deren Abfassung ich im Übrigen nichts zu tun habe –, in der ausdrücklich steht, dass Europa die Menschen glücklich machen will. Und Sarko tut das Seine dafür, ich das Meine.«
    »Sie mögen ihn wirklich nicht«, stellte Kranich nüchtern fest.
    »Herr Kranich, ich kann doch nicht mit jedem, mit dem ich mal essen war, rein beruflich bedingt, intim werden, nur damit seine Verdauung besser funktioniert.«
    Kranich kannte ihre vulgäre Seite gut und spürte, dass sie ihn in diesem Augenblick ganz genau beobachtete. Er versuchte, ein leeres Gesicht zu zeigen. Eine Projektionsfläche. Dafür hatte sie ihn wohl engagiert. Sie brauchte keinen persönlichen Berater, sondern einen Puffer, an dem sie sich widerspruchslos austoben konnte. Doch dass er allen Provokationen bislang widerstehen konnte, imponierte ihr und reizte sie.
    »Kranich, was meinen Sie? Möchten Sie intim sein mit einem, der auf Bananen beisst, als wären es Betonbonbons?«
    »Nein«, sagte Kranich.
    »Mit Ihnen wäre das allerdings etwas anderes«, sagte die Kanzlerin, und Kranich wunderte sich. »Weil Sie diesen Anspruch nicht haben, Kranich, weil Sie sozusagen das Gegenteil dessen sind, was man sich – auch als Frau – in intimen Momenten erwartet. Und das gilt noch viel mehr für jene Augenblicke, die mögliche persönliche Annäherungen ja bekanntlich einleiten, also kurz gesagt: Sie haben mir noch nie den Appetit verdorben, Kranich. Wobei sich andererseits aber auch kaum behaupten lässt, dass Sie ein Appetizer sind. Und wenn Sie das jetzt unhöflich finden, dann sagen Sie es bitte.«
    Kranich sagte: »Ich finde, dass Sie das Recht haben, Abstand zu wahren.«
    »Abstand ist Anstand, sage ich immer«, sagte die Kanzlerin und wollte den Raum verlassen. Aber dann sah er in ihren Augen eine kleine Unsicherheit.
    »Mein Gefühl sagt mir, dass Sie mir eigentlich noch etwas sagen möchten, Frau Kanzlerin.«
    »Ihre Gefühle in allen Ehren, Herr Kranich, aber wenn ich etwas sagen will, dann tue ich das auch ohne spezielle Nachfrage. Vielmehr wollte ich Sie schon lange fragen, ob Sie das denn überhaupt nicht stört, mich jeden Tag als Frau Kanzlerin anzureden. Sie sind Schweizer, und Schweizer haben doch keine solchen Anreden für ihre Obrigkeiten, falls Schweizer überhaupt Obrigkeiten haben.«
    »Bei uns ist das Volk der Souverän«, sagte Kranich, »aber höflich zu sein fällt uns nicht schwer, und das gilt auch für mich. Und wenn ich ›Frau Kanzlerin‹ sage, dann ist das korrekt, und korrekt heisst nicht unterwürfig, und darum stört es mich auch nicht, wenn ich Ihnen ›Frau Kanzlerin‹ sage. ›Meine Kanzlerin‹ allerdings, das würde ich nie sagen.«
    »Bleiben Sie bei ›Frau Kanzlerin‹, Kranich, bleiben Sie korrekt. Die Staats- und Regierungschefs duzen sich ja mittlerweile fastalle, was ich einigermassen unangemessen finde, was aber immer noch nicht die Stufe der Peinlichkeit erreicht, die mir im letzten Wahlkampf ein paar Berater – Sie waren da leider noch nicht an meiner Seite – eingebrockt haben. Riesige Säle mit riesigen Lautsprechern und einer riesigen Leinwand, auf der man eine riesige Kanzlerin sah, die wie ein Rockstar empfangen wurde. Kranich, die Stones kannte man selbst in der DDR. Und trotzdem habe ich mich in meinem Leben selten so unangenehm berührt gefühlt wie bei diesen aufgepeppten Auftritten.

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