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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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warum.
    Er zog sein Hemd aus und wusch sich am Brunnen. Er pustete gewaltig dabei, spie, kreischte, jauchzte fast, es war wahrhaftig wie ein Einbruch der Vorwelt in die Nachwelt. Dann zog er sein grobes Hemd wieder an, und wir gingen beide einander entgegen, um uns zu begrüßen. Diese Begrüßung war ebenso feierlich wie herzlich. Es war eine Art von Zeremoniell und, obwohl wir uns fast jeden Morgen sahen, immer wieder eine stillschweigende Versicherung der Tatsache, daß weder ich ihn lediglich für einen jüdischen Fiaker hielt noch er mich lediglich für einen einflußreichen jungen Herrn aus Wien. Manchmal bat er mich, die spärlichen Briefe zu lesen, die sein Sohn aus dem Konservatorium schrieb. Es waren ganz kurze Briefe, aber da er erstens nicht schnell die deutsche Sprache begriff, in der ihm der Sohn zu schreiben sich verpflichtet fühlte – weiß Gott aus welchem Grund –, und zweitens, weil sein zärtliches Vaterherz wünschen mochte, daß diese Briefe nicht zu kurz seien, achtete er darauf, daß ich sie sehr langsam lese. Oft verlangte er auch, daß ich die Sätze zwei- oder dreimal wiederhole.
    Das Geflügel in seinem kleinen Stall begann zu gackern, sobald er in den Hof trat. Die Pferde wieherten, lüstern fast, dem Morgen entgegen und dem Fiaker Manes. Er schloß zuerst den Pferdestall auf, und beide Schimmel steckten gleichzeitig die Köpfe zur Tür heraus. Er küßte sie beide, so, wie man Frauen küßt. Dann ging er in den Schuppen, um den Wagen herauszubringen. Hierauf spannte er die Pferde ein. Dann schloß er den Hühnerstall auf, und das Geflügel zerstreute sich kreischend und flügelschlagend. Es sah aus, als ob sie eine unsichtbare Hand über den Hof ausgesät hätte.
    Ich kannte auch die Frau des Fiakers Manes Reisiger. Etwa eine halbe Stunde später als er pflegte sie aufzustehen und mich zum Tee einzuladen. Ich trank ihn in der blau getünchten Küche, vor dem großen, weißblechernen Samowar, während Manes geschabten Rettich, Zwiebelbrot und Gurken aß. Es roch stark, aber heimlich, heimisch fast, obwohl ich niemals diese Art Frühstück gegessen hatte; ich liebte damals eben alles, ich war jung, einfach jung.
    Ich hatte sogar die Frau meines Freundes Manes Reisiger gern, obwohl sie zu den – im allgemeinen Sprachgebrauch sogenannten – häßlichen Frauen gehörte, denn sie war rothaarig, sommersprossig und sah einer aufgequollenen Semmel ähnlich. Dennoch, und trotz ihrer fetten Finger, hatte sie eine appetitliche Art, den Tee einzuschenken, ihrem Mann das Frühstück zu bereiten. Sie hatte ihm drei Kinder geboren. Zwei von ihnen waren an den Pocken gestorben. Manchmal sprach sie von den toten Kindern, als wären sie noch lebendig. Es war, als gäbe es für sie keinen Unterschied zwischen den begrabenen Kindern und jenem nach dem Wiener Konservatorium abgewanderten Sohn, der ihr so gut wie gestorben erscheinen mochte. Ausgeschieden war er eben aus ihrem Leben.
    Durchaus lebendig und allzeit gegenwärtig aber war ihr mein Vetter, der Maronibrater. Hier vermutete ich allerhand.
    Eine Woche später mußte er kommen, mein Vetter Joseph Branco Trotta.

X
    Eine Woche später kam er auch.
    Er kam mit seinem Maulesel, mit seinem Ledersack, mit seinen Kastanien. Braun und schwarz und heiter war er; genau so, wie ich ihn das letztemal in Wien gesehen hatte. Es schien ihm offenbar natürlich, mich hier wiederzutreffen. Es war noch lange nicht die richtige Saison der Maroni angebrochen. Mein Vetter war einfach meinetwegen ein paar Wochen früher gekommen. Auf dem Wege von der Bahn zur Stadt saß er auf dem Kutschbock an der Seite unseres Freundes Manes Reisiger. Den Maulesel hatten sie hinten mit einem Halfterband an den Fiaker gebunden. Der Ledersack, der Bratofen, die Kastanien waren zu beiden Seiten des Wagens aufgeschnallt. Also fuhren wir in das Städtchen Zlotogrod ein, aber wir erregten keinerlei Aufsehen. Man war in Zlotogrod gewohnt, meinen Vetter Joseph Branco jedes zweite Jahr auftauchen zu sehen. Und auch an mich, den dorthin verirrten Fremden, schien man sich bereits gewöhnt zu haben. Wir machten also keinerlei Aufsehen bei unserm Einzug in das Städtchen.
    Mein Vetter Joseph Branco stieg, wie gewöhnlich, bei Manes Reisiger ab. Er brachte mir, eingedenk seiner guten Geschäfte, die er im Sommer des vergangenen Jahres mit der Uhr und mit der Kette gemacht hatte, noch ein paar folkloristische Kleinigkeiten mit, zum Beispiel einen Aschenbecher aus getriebenem Silber, auf dem zwei

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