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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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vorher hatte ich mein Bataillon, die Einundzwanziger-Jäger, verlassen. Es schien mir damals, daß mir der Krieg durchaus gelegen käme. In dem Augenblick, in dem er nun da war und unausbleiblich, erkannte ich sofort – und ich glaube, auch alle meine Freunde dürften es genauso schnell und so plötzlich erkannt haben –, daß sogar noch ein sinnloser Tod besser sei als ein sinnloses Leben. Ich hatte Angst vor dem Tod. Das ist gewiß. Ich wollte nicht fallen. Ich wollte mir lediglich selbst die Sicherheit verschaffen, daß ich sterben könne.
    Mein Vetter Joseph Branco und sein Freund, der Fiaker Manes, waren beide Soldaten in der Reserve. Auch sie mußten also einrücken. Am Abend jenes Freitags, an dem das Manifest des Kaisers an den Wänden plakatiert worden war, ging ich, wie gewohnt, ins Kasino, um mit meinen Freunden von den Neuner-Dragonern zu essen. Ich konnte ihren Appetit nicht begreifen, ihre gewohnte Heiterkeit nicht, nicht ihre törichte Gleichgültigkeit gegen die Marschorder nach dem nordöstlich gelegenen russischen Grenzorte Radziwillow. Ich war der einzige unter ihnen, der schon die Anzeichen des Todes in ihren harmlosen, sogar fröhlichen, jedenfalls unbewegten Gesichtern erkannte. Es war, als befänden sie sich in einer Art euphorischem Zustand, der die Sterbenden so häufig begnadet, ein Vorbote des Todes. Und obwohl sie noch gesund und munter an den Tischen saßen und Schnaps und Bier tranken und obwohl ich so tat, als nähme ich teil an ihren törichten Scherzen, kam ich mir doch vor wie ein Arzt oder ein Krankenpfleger, der seinen Patienten sterben sieht und der sich freut, daß der Sterbende noch gar nichts von dem nahen Tode weiß. Und dennoch fühlte ich auf die Dauer ein Unbehagen, wie es vielleicht auch mancher Arzt oder mancher Krankenwärter haben mag, im Angesicht des Todes und der Euphorie des Sterbenden, in jenem Augenblick also, da sie nicht genau wissen mögen, ob es nicht besser wäre, dem Todgeweihten zu sagen, daß er bald sterben müsse, statt die günstige Tatsache zu begrüßen, daß er dahingehen würde, ohne etwas zu ahnen.
    Infolgedessen verließ ich die Herren von den Neuner-Dragonern schnell und begab mich auf den Weg zu Manes, dem Fiaker, bei dem, wie schon gesagt, mein Vetter Joseph Branco wohnte.
    Wie anders waren sie beide und wie wohl taten sie mir nach diesem Abend im Kasino der Neuner-Dragoner! Vielleicht waren es die rituellen Kerzen, die im blau getünchten Zimmer des jüdischen Fiakers Manes brannten, ihrem eigenen Tod, fröhlich fast, auf jeden Fall aber gefaßt und sicher, entgegenbrannten: drei Kerzen, goldgelb, in grüne Bierflaschen gesteckt; denn der Fiaker Manes war zu arm, um sich auch nur Messingleuchter zu kaufen. Es waren beinahe nur noch Stümpfe von Kerzen, und sie schienen mir das Ende der Welt, von dem ich wußte, daß es sich jetzt zu vollziehen begann, zu symbolisieren. Das Tischtuch war weiß, die Flaschen von jenem billigen Dunkelgrün, das bereits von vornherein die Gewöhnlichkeit ihres süffigen Inhalts plebejisch und übermütig anzukündigen scheint, und die sterbenden Kerzenreste goldgelb. Sie flackerten. Sie warfen unruhiges Licht über den Tisch und verursachten ebenso unruhige, gleichsam flackernde Schatten an den dunkelblau getünchten Wänden. Am Kopfende des Tisches saß Manes, der Fiaker, nicht mehr in seiner gewöhnlichen Fiakeruniform, nicht mehr in seinem Schafspelz mit Leibriemen und Ripsmütze, sondern in einem länglichen Lüsterrock und mit einem schwarzen Plüschkäppchen auf dem Kopf. Mein Vetter Joseph Branco trug seine gewohnte fette Lederjoppe und, aus Respekt vor seinem jüdischen Gastgeber, das grüne Tiroler Hütchen auf dem Kopf. Irgendwo zirpte schrill ein Heimchen.
    »Jetzt müssen wir alle Abschied nehmen«, begann Manes, der Fiaker. Und weit hellsichtiger als meine Freunde von den Neuner-Dragonern und dennoch von einem Gleichmut erfüllt, beinahe möchte ich sagen: geadelt, genauso wie von dem Tod, von dem jeder Mensch geadelt wird, der bereit und würdig ist, ihn zu empfangen, fuhr er also fort: »Es wird ein großer Krieg sein, ein langer, und wer von uns dreien zurückkommt, kann man nicht wissen. Zum letztenmal sitze ich hier neben meiner Frau vor dem Freitagsabendtisch, vor den Sabbatkerzen. Nehmen wir einen würdigen Abschied, meine Freunde: du, Branco, und Sie, Herr!« Und um einen wirklich würdigen Abschied zu feiern, beschlossen wir, in die Grenzschenke Jadlowkers zu gehen, alle drei.

XII
    Die

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