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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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stationierten Neuner-Dragonern billig abgegeben. Allerdings hätte er, der Fiaker Manes Reisiger, sie niemals so leicht kaufen können, wenn er nicht ein Liebling des Obersten von dem Neuner-Dragoner-Regiment gewesen wäre. Es gab im ganzen fünf Fiaker im Städtchen Zlotogrod. Die andern vier, die Kollegen Reisigers, hatten schmutzige Wagen, faule und lahme alte Stuten, krumme Räder und ausgefranste Ledersitze. Die Holzwolle kroch nur so wild durch das abgeschabte und löchrige Leder, und es war wahrhaftig keinem Herrn, geschweige denn einem Obersten von den Neuner-Dragonern zuzumuten, daß er sich in solch einen Fiaker setzte.
    Ich hatte eine Empfehlung von Chojnicki an den Garnisonskommandanten, den Obersten Földes von den Neunern, ebenso wie an den Bezirkshauptmann, den Baron Grappik. Gleich morgen, am nächsten Tag nach meiner Ankunft also, gedachte ich, beide Besuche zu machen. Der Fiaker Manes Reisiger verfiel in Schweigen, er hatte nichts mehr Wichtiges zu erzählen, alles, was wichtig in seinem Leben war, hatte er bereits gesagt. Dennoch aber ließ er immer noch die Peitsche im Futteral, dennoch hielt er immer noch die Zügel schlaff und lose, dennoch wandte er mir immer noch vom Kutschbock her seinen Oberkörper zu. Das ständige Lächeln seines breiten Mundes mit den starken weißen Zähnen zwischen der nächtlichen, fast schon blauen Schwärze seines Schnurrbarts und seines Bartes erinnerte leicht an einen milchigen Mond zwischen Wäldern, zwischen angenehmen Wäldern eben. So viel Heiterkeit, so viel Güte war in diesem Lächeln, daß es sogar die Kraft der fremden, flachen, wehmütigen Landschaft beherrschte, durch die ich fuhr. Denn weite Felder zu meiner Rechten, weite Sümpfe zu meiner Linken dehnten sich auf dem Weg zwischen der Bahnstation Zlotogrod und dem Städtchen Zlotogrod, es war, als wäre es gleichsam in freiwilliger Keuschheit bewußt ferne dem Bahnhof geblieben, der es mit der Welt verband. Es war ein regnerischer Nachmittag und, wie gesagt, am Anfang des Herbstes. Die Gummiräder des Fiakers Manes rollten gespenstisch lautlos durch die aufgeweichte, ungepflasterte Landstraße, aber die schweren Hufe der starken, dereinst ärarischen Schimmel klatschten in wuchtigem Rhythmus durch den dunkelgrauen Schlamm, und die dicken Kotklumpen spritzten vor uns her. Es war bereits Halbdunkel, als wir die ersten Häuser erreichten. Mitten auf dem Ringplatz, der kleinen Kirche gegenüber, stand, durch eine einsame, traurige Laterne von weitem schon kundgetan, das einzige zweistöckige Haus von Zlotogrod: nämlich das Hotel »Zum goldenen Bären«. Die einsame Laterne davor erinnerte an ein Waisenkind, das durch Tränen vergeblich zu lächeln versucht.
    Dennoch, auf so viel Fremdes, mehr als dies: nämlich Weites und Entferntes, ich mich auch vorbereitet hatte, erschien mir auch das meiste heimisch und vertraut. Viel später erst, lange nach dem großen Krieg, den man den »Weltkrieg« nennt, mit Recht, meiner Meinung nach, und zwar nicht etwa, weil ihn die ganze Welt geführt hatte, sondern weil wir alle infolge seiner eine Welt, unsere Welt, verloren haben, viel später also erst sollte ich einsehen, daß sogar Landschaften, Äcker, Nationen, Rassen, Hütten und Kaffeehäuser verschiedenster Art und verschiedenster Abkunft dem durchaus natürlichen Gesetz eines starken Geistes unterliegen müssen, der imstande ist, das Entlegene nahezubringen, das Fremde verwandt werden zu lassen und das scheinbar Auseinanderstrebende zu einigen. Ich spreche vom mißverstandenen und auch mißbrauchten Geist der alten Monarchie, der da bewirkte, daß ich in Zlotogrod ebenso zu Hause war wie in Sipolje, wie in Wien.
    Das einzige Kaffeehaus in Zlotogrod, das Café Habsburg, gelegen im Parterre des Hotels »Zum goldenen Bären«, in dem ich abgestiegen war, sah nicht anders aus als das Café Wimmerl in der Josefstadt, wo ich gewohnt war, mich mit meinen Freunden am Nachmittag zu treffen. Auch hier saß hinter der Theke die wohlvertraute Kassiererin, so blond und so füllig, wie zu meiner Zeit nur die Kassiererinnen sein konnten, eine Art biedere Göttin des Lasters, eine Sünde, die sich selbst preisgab, indem sie sich nur andeutete, lüstern, verderblich und geschäftstüchtig lauernd zugleich. Desgleichen hatte ich schon in Agram, in Olmütz, in Brunn, in Kecskemet, in Szombathely, in Ödenburg, in Sternberg, in Müglitz gesehen. Die Schachbretter, die Dominosteine, die verrauchten Wände, die Gaslampen, der

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