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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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von uns kannte, zu entstellen. Das heißt: mit allerhand Eigenschaften auszustatten, von denen wir von vornherein wußten, sie seien die willkürlichen Ergebnisse unserer Phantasie und keineswegs die realen Qualitäten dieses Städtchens.
    So heiter war damals die Zeit! Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken. Wir sahen ihn nicht, wir sahen nicht seine Hände. Wir sprachen von Zlotogrod dringlich so lange und so intensiv, daß ich von der Furcht erfaßt wurde, es könnte eines Tages plötzlich verschwinden oder meine Freunde könnten zu glauben anfangen, jenes Zlotogrod sei unwirklich geworden und es existierte gar nicht und ich hätte ihnen nur davon erzählt. Plötzlich erfaßten mich die Ungeduld und sogar die Sehnsucht nach diesem Zlotogrod und nach dem Fiaker namens Reisiger.
    Mitten im Sommer des Jahres 1914 fuhr ich hin, nachdem ich Vetter Trotta nach Sipolje geschrieben hatte, daß ich ihn dort erwarte.

IX
    Mitten im Sommer des Jahres 1914 fuhr ich also nach Zlotogrod. Ich kehrte im Hotel »Zum goldenen Bären« ein, dem einzigen Hotel dieses Städtchens, von dem man mir gesagt hatte, es sei einem Europäer angemessen.
    Der Bahnhof war winzig, wie jener in Sipolje, den ich in gewissenhafter Erinnerung behalten hatte. Alle Bahnhöfe der alten österreichisch-ungarischen Monarchie gleichen einander, die kleinen Bahnhöfe in den kleinen Provinzorten. Gelb und winzig, waren sie trägen Katzen ähnlich, die winters im Schnee, sommers in der Sonne lagern, gleichsam beschützt von dem überlieferten kristallenen Glasdach des Perrons und überwacht von dem schwarzen Doppeladler auf gelbem Hintergrund. Überall, in Sipolje wie in Zlotogrod, war der Portier der gleiche, der gleiche Portier mit dem erhabenen Bauch, der dunkelblauen, friedfertigen Uniform, dem schwarzen Riemen quer über der Brust, dem Riemen, in dem die Glocke steckte, die Mutter jenes seligen, dreimaligen, vorschriftsmäßigen Klingelns, das die Abfahrt ankündigte; auch in Zlotogrod, wie in Sipolje, hing am Perron, über dem Eingang zum Büro des Stationsvorstehers, jenes schwarze, eiserne Instrument, aus dem wunderbarerweise das ferne silberne Klingeln des fernen Telephons kam, Signale, zart und lieblich, aus anderen Welten, so daß man sich wunderte, daß sie Zuflucht gefunden hatten in einem so schweren, wenn auch kleinen Gehäuse; auf der Station in Zlotogrod, wie auf der in Sipolje, salutierte der Portier den Ankommenden wie den Abreisenden, und sein Salutieren war wie eine Art militärischen Segens; auf dem Bahnhof in Zlotogrod, wie auf dem in Sipolje, gab es den gleichen »Wartesaal zweiter und erster Klasse«, das gleiche Büfett mit den Schnapsflaschen und der gleichen blonden, vollbusigen Kassiererin und den zwei riesengroßen Palmen rechts und links vom Büfett, die ebenso an Vorweltgewächse erinnerten wie an Pappendeckel. Und vor dem Bahnhof warteten die drei Fiaker, genauso wie in Sipolje. Und ich erkannte sofort den unverkennbaren Fiaker Manes Reisiger.
    Selbstverständlich war er es, der mich zum Hotel »Zum goldenen Bären« fuhr. Er hatte einen schönen, mit zwei silbergrauen Schimmeln bespannten Fiaker, die Speichen der Räder waren gelb lackiert und die Räder mit Gummi versorgt, so wie sie Manes in Wien bei den sogenannten »Gummiradlern« gesehen hatte.
    Er gestand mir unterwegs, daß er eigentlich nicht so sehr meinetwegen, in Erwartung meiner Ankunft, seinen Fiaker renoviert hatte wie aus einer Art jener instinktiven Leidenschaft, die ihn zwang, seine Kollegen, die Wiener Fiaker, genauer zu beobachten und seine Ersparnisse dem Gott des Fortschritts zu opfern, zwei Schimmel zu kaufen und Gummireifen um die Räder zu tun.
    Der Weg vom Bahnhof zur Stadt war sehr weit, und Manes Reisiger hatte lang Zeit, mir die Geschichten zu erzählen, die ihn so nahe angingen. Er hielt dabei mit der linken Hand die Zügel. Zu seiner Rechten stak die Peitsche in ihrem Futteral. Die Schimmel kannten wohl den Weg. Es war keineswegs nötig, sie zu lenken. Manes brauchte sich gar nicht um sie zu kümmern. Er saß also nachlässig auf dem Kutschbock, hielt die Zügel sorglos und schlaff in der Linken und neigte sich mir mit dem halben Oberkörper zu, während er mir seine Geschichte erzählte. Beide Schimmel zusammen hatten nur hundertfünfundzwanzig Kronen gekostet. Es waren ärarische Schimmel, jeder auf dem linken Auge blind geworden, für militärische Zwecke also unbrauchbar und von den in Zlotogrod

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