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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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Küchentisch in der Ecke, in der Nähe der Toiletten, die blaugeschürzte Magd, der Landgendarm mit dem lehmgelben Helm, der auf einen Augenblick eintrat, ebenso autoritär wie verlegen, und der das Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett schüchtern fast in den Regenschirmständer lehnte, und die Tarockspieler mit den Kaiserbärten und den runden Manschetten, die sich jeden Tag pünktlich um die gleiche Stunde versammelten: all dies war Heimat, stärker als nur ein Vaterland, weit und bunt, dennoch vertraut und Heimat: die kaiser- und königliche Monarchie. Der Bezirkshauptmann Baron Grappik und der Oberst der Neuner-Dragoner Földes, sie sprachen beide das gleiche näselnde, ärarische Deutsch der besseren Stände, eine Sprache, hart und weich zugleich, als wären Slawen und Italiener die Gründer und Väter dieser Sprache, einer Sprache voller diskreter Ironie und voll graziöser Bereitschaft zur Harmlosigkeit, zum Plausch und sogar zum holden Unsinn. Es dauerte kaum eine Woche, und ich war in Zlotogrod ebenso heimisch, wie ich es in Sipolje, in Müglitz, in Brunn und in unserem Café Wimmerl in der Josefstadt gewesen war.
    Selbstverständlich fuhr ich jeden Tag im Fiaker meines Freundes Manes Reisiger durch die Gegend. Das Land war in Wirklichkeit arm, aber es zeigte sich anmutig und sorglos. Die weit gebreiteten, unfruchtbaren Sümpfe selbst erschienen mir saftig und gütig und der freundliche Chor der Frösche, der aus ihnen emporstieg, als ein Lobgesang von Lebewesen, die besser als ich wußten, zu welchem Zweck Gott sie und ihre Heimat, die Sümpfe, geschaffen hatte.
    In der Nacht hörte ich manchmal die heiseren, oft unterbrochenen Schreie der hoch fliegenden wilden Gänse. An Weiden und Birken hing noch reichlich das Laub, aber von den großen, Ehrfurcht heischenden Kastanien fielen bereits die sauber gezackten, harten goldgelben Blätter. Die Enten schnatterten mitten in der Straße, in denen unregelmäßige Tümpel den silbergrauen, nie trocknenden Schlamm unterbrachen.
    Ich pflegte am Abend mit den Offizieren des Neuner-Dragoner-Regiments zu essen; richtiger gesagt: zu trinken. Über den Kelchen, aus denen wir tranken, kreuzte der unsichtbare Tod schon seine knochigen Hände. Wir ahnten sie noch nicht. Manchmal blieben wir spät zusammen. Aus einer unerklärlichen Angst vor der Nacht erwarteten wir den Morgen. Aus einer unerklärlichen Angst, sage ich eben, weil sie uns damals erklärlich zu sein schien; denn wir suchten die Erklärung in der Tatsache, daß wir zu jung waren, um die Nächte zu vernachlässigen. Indessen war es, wie ich erst später sah, die Angst vor den Tagen, genauer gesagt, vor den Vormittagen, den klarsten Zeiten des Tages. Da sieht man deutlich, und man wird auch deutlich gesehen. Und wir, wir wollten nicht deutlich sehen, und wir wollten auch nicht deutlich gesehen werden.
    Am Morgen also, um sowohl dieser Deutlichkeit zu entgehen als auch dem dumpfen Schlaf, den ich wohl kannte und der einen Menschen nach einer durchwachten und durchzechten Nacht überfällt, wie ein falscher Freund, ein schlechter Heiler, ein griesgrämiger Gütling und ein tückischer Wohltäter, flüchtete ich mich zu Manes, dem Fiaker. Oft gegen sechs Uhr früh kam ich in dem Augenblick an, wo er eben aus dem Bett gestiegen war. Er wohnte außerhalb des Städtchens, in der Nähe des Friedhofs. Ich brauchte ungefähr eine halbe Stunde, um zu ihm zu gelangen. Manchmal kam ich just in dem Moment an, in dem er gerade aufgestanden war. Sein Häuschen lag einsam, umgeben von Feldern und Wiesen, die ihm nicht gehörten, blau getüncht und mit einem schwarzgrauen Schindeldach versehen, nicht unähnlich einem lebendigen Wesen, das nicht zu stehen, sondern sich zu bewegen schien. So kräftig war die dunkelblaue Farbe der Wände innerhalb des welk werdenden Grüngelbs der Umgebung. Wenn ich das dunkelrote Tor aufstieß, das den Eingang zu der Wohnung des Fiakers Manes freigab, sah ich ihn zuweilen gerade aus seiner Haustür steigen. Vor dieser braunen Haustür stand er da, im groben Hemd, in groben Unterhosen, barhäuptig und barfüßig, eine große, braune, irdene Kanne in der Hand. Er trank immer wieder einen Schluck, dann spuckte er das Wasser aus dem Munde in großem Bogen aus. Mit seinem gewaltigen schwarzen Vollbart, gerade gegenüber der eben aufgehenden Sonne, in seinem groben Leinen, mit seinen struppigen und wolligen Haaren erinnerte er an Urwald, Urmensch, Vorzeit, verwirrt und verspätet, man wußte nicht,

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