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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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sie ließ die Zeitung kaum sinken. »Küß die Hand, Mama!« sagte ich, ging auf sie zu und nahm ihr die Zeitung aus der Hand. Ich fiel geradezu in ihren Schoß. Sie küßte mich auf den Mund, die Wangen, die Stirn. »Jetzt ist Krieg«, sagte sie, als hätte sie mir damit eine Neuigkeit mitgeteilt; oder als wäre für sie der Krieg erst in dem Augenblick ausgebrochen, in dem ich nach Hause gekommen war, um von ihr, meiner Mutter, Abschied zu nehmen.
    »Jetzt ist Krieg, Mama«, antwortete ich, »und ich bin gekommen, um Abschied von dir zu nehmen.« – »Und auch«, fügte ich nach einer Weile hinzu, »um Elisabeth zu heiraten, bevor ich in den Krieg gehe.«
    »Wozu heiraten«, fragte meine Mutter, »wenn du ohnehin in den Krieg gehst?« Auch hier noch sprach sie, wie eine Mutter spricht. Wenn sie ihr Kind – ihr einziges übrigens – in den Tod ziehen lassen mußte, so wollte sie es allein dem Tod überliefern. Weder den Besitz noch den Verlust wollte sie mit einer anderen Frau teilen. Seit langem schon mochte sie geahnt haben, daß ich Elisabeth liebte. (Sie kannte sie wohl.) Seit langem schon mochte meine Mutter bereits gefürchtet haben, daß sie eines Tages ihren einzigen Sohn verlieren würde – an eine andere Frau–, was ihr vielleicht beinahe noch schlimmer erschien, als ihn an den Tod zu verlieren. »Mein Kind«, sagte sie, »du bist selbst imstande und allein berechtigt, über dein Schicksal zu entscheiden. Du willst heiraten, bevor du in den Krieg gehst; ich versteh's. Ich bin kein Mann, ich habe nie einen Krieg gesehn, ich kenne kaum das Militär. Aber ich weiß, daß der Krieg etwas Schreckliches ist und daß er dich vielleicht umbringen wird. Dies ist die Stunde, in der ich dir die Wahrheit sagen kann. Ich mag Elisabeth nicht leiden. Ich hätte dich auch unter andern Umständen nicht gehindert, sie zu heiraten. Aber ich hätte dir niemals die Wahrheit gesagt. Heirate und werde glücklich, wenn es dir die Umstände erlauben. Und Schluß damit! Reden wir von anderen Dingen: Wann rückst du ein? Und wo?«
    Zum erstenmal in meinem Leben war ich vor meiner Mutter verlegen, ja winzig. Ich konnte ihr nichts anderes antworten als dieses kümmerliche: »Ich komme bald wieder, Mama!«, das mir heute noch wie eine Lästerung nachklingt.
    »Komm zu Mittag, Bub«, sagte sie, als ob gar nichts sonst in der Welt los wäre und wie sie es immer schon ähnlich gesagt hatte, »wir haben heut Schnitzel und Zwetschkenknödel zu Mittag.«
    Es war für mich eine großartige Manifestation der Mütterlichkeit: dieser plötzliche Einbruch der friedlichen Zwetschkenknödel in die Bereitschaft des Todes sozusagen. Ich hätte vor Rührung in die Knie fallen mögen. Aber ich war zu jung noch damals, um Rührung ohne Scham zeigen zu können. Und seit jener Stunde weiß ich es auch, daß man ganz reif und zumindest sehr erfahren sein muß, um Gefühl zeigen zu können, ohne eine Hemmung der Scham.
    Ich küßte meiner Mutter die Hand wie gewohnt. Ihre Hand – ich werde sie niemals vergessen – war zart, schlank, blau geädert. Durch die dunkelroten, seidenen Vorhänge, zärtlich gedämpft, strömte das Licht des Vormittags in das Zimmer, wie ein stiller, gleichsam zeremoniell verkleideter Gast. Auch die ganz blasse Hand meiner Mutter schimmerte rötlich, in einer Art schamhaften Scharlachs, eine geweihte Hand in einem durchsichtigen Handschuh aus gefilterter Vormittagssonne. Und das zaghaft herbstliche Zirpen der Vögel in unserem Garten war mir beinahe so heimisch und gleichzeitig beinahe so fremd wie die vertraute, vom Rot verschleierte Hand meiner Mutter.
    »Ich habe keine Zeit zu verlieren«, sagte ich nur.
    Ich ging zum Vater meiner geliebten Elisabeth.

XIV
    Der Vater meiner geliebten Elisabeth war in jener Zeit ein wohlbekannter, man kann wohl sagen, berühmter Hutmacher. Er war aus einem gewöhnlichen »Kaiserlichen Rat« ein nicht ungewöhnlicher ungarischer Baron geworden. Die geradezu skurrilen Sitten der alten Monarchie erforderten manchmal, daß Kommerzialräte österreichischer Provenienz ungarische Barone werden.
    Der Krieg kam meinem zukünftigen Schwiegervater durchaus gelegen. Er war bereits zu alt, um noch einrücken zu müssen, und jung genug, um aus einem seriösen Hutfabrikanten ein hurtiger Hersteller jener Soldatenkappen zu werden, die so viel mehr einbringen und so viel weniger kosten als die Zylinder.
    Es war mittags, vom Rathaus schlug es eben zwölf Uhr, als ich bei ihm eintrat, und er war gerade von

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