Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Giulio?«
»Er musste Gian Giordano abhalten, mir in die Kirche zu folgen.«
Giannis Lächeln war in der Finsternis von San Pietro kaum zu sehen, aber was ich erkennen konnte, sah aus wie das gequälte Lächeln eines Gefolterten, dem gesagt wurde, dass die Leiden schon bald enden werden – auf welche Art auch immer:
»Gestern Abend kam Kardinal Borgia auf fünfzehn Stimmen und erreichte fast die nötige Zweidrittelmehrheit. Giuliano della Rovere bat mich daraufhin zu sich, und wir diskutierten die halbe Nacht, was zu tun sei. Er erkannte, dass er weder siegen noch seinen Kontrahenten von einer Wahl abhalten konnte, und so kapitulierte er. Nach Mitternacht gingen wir – della Rovere, Orsini und ich – in Borgias Zelle, weckten den Kardinal und teilten ihm mit, das wir uns unterwerfen würden.
Kardinal della Rovere erhielt die Stellung eines Legaten in der alten Papstresidenz Avignon und eine strategisch wichtige Festung an der Straße nach Norden – nach Perugia, Siena und Urbino. Nachdem della Rovere schon die Festung von Ostia beherrscht und damit Roms Zugang zum Meer, ist er der festen Überzeugung, dass er Papst Alexander militärisch kontrollieren kann. Er war zufrieden mit dem Angebot und stimmte zu, als Borgia vorschlug, alle Kardinäle wecken zu lassen, um noch in der Nacht eine neue Abstimmung durchzuführen.«
»War Kardinal Borgia ärgerlich, weil du nicht für ihn gestimmt hast, obwohl er so viel für Giulio getan hat?«, fragte ich.
»Nein, überhaupt nicht! Kein Wort des Vorwurfs kam über seine Lippen. Er legte mir sogar einmal den Arm um die Schultern und nannte mich dem künftigen Vizekanzler Ascanio Sforza gegenüber »seinen lieben Sohn«, als wir während des letzten Wahlgangs in der Sixtina auf und ab gingen. Er weiß von meiner und Giulios Freundschaft mit Cesare. Auch ich habe wohlklingende Titel und geradezu märchenhafte Einkünfte aus verschiedenen Bistümern von ihm erhalten …«
Ich atmete auf und erzählte Gianni von meinem Plan – nicht von dem, den Drachen zu töten, sondern von dem, das Ungeheuer zu besänftigen und in Sicherheit zu wiegen.
»Ich werde sofort aufbrechen«, sagte ich entschlossen. »Cesare wird heute in Siena sein – beim Palio. Agostino Chigi hat mir erzählt, dass er ihn eingeladen hat, in seinem Palazzo zu wohnen. Eine Gelegenheit zu siegen lässt Cesare sich nicht entgehen. Ich kann bis zum Abend in Siena sein und ihm von dem Triumph seines Vaters berichten.«
Giannis eindringliche Warnungen dröhnten in meinen Ohren wie die Glocken von San Pietro …
… als ich eine halbe Stunde später Rom durch die Porta Flaminia verließ. Ich ritt, als wäre Satan hinter mir her. Ich wollte unbedingt vor den Boten Papst Alexanders in Siena sein, die Cesare über die Wahl seines Vaters zum Pontifex Maximus informieren würden.
Zehn atemlose Stunden später, am späten Nachmittag, erreichten meine Begleiter und ich nach einem scharfen Ritt Siena.
Glühend wie eine neu gegossene Bronzeglocke lag die Sommerhitze über der Stadt. Die Tauben gurrten träge aus ihren Nestern zu den Gassen hinunter, und selbst die Katzen räkelten sich verschlafen im Schatten. Schwalben jagten durch die menschenleeren Straßen und schwangen sich wieder in den Himmel hinauf. Die Luft duftete betörend nach abendlichen Blüten, und hinter dem Horizont dröhnte der Donner eines herannahenden Gewitters.
Ich hatte keinen Zweifel, wo ich Cesare finden würde: auf der Piazza del Campo. Mit meinen Leibwächtern ritt ich zum Palazzo Chigi, überließ mein Pferd einem Stallknecht und sprach kurz mit dem Majordomus, damit er ein Zimmer für mich richtete. Dann begab ich mich durch die engen Gassen zum Campo.
In der Mitte des Platzes waren Barrikaden errichtet worden, hinter denen sich die Einwohner von Siena drängelten, um einen Blick auf die mit Sand bestreute Rennbahn rund um die Piazza zu werfen, wo in wenigen Minuten das Rennen beginnen sollte. Unruhig tänzelten die Rennpferde über die Sandbahn, einige Reiter trabten ihre Runden, um die Tiere zu beruhigen.
Ich fand Agostino Chigi auf einer mit Flaggen geschmückten Tribüne direkt vor dem Palazzo Pubblico – nein, eigentlich fand er mich. Ein wenig verloren stand ich mitten auf der Rennbahn und beobachtete die Prozession der Fahnenwerfer der Stadtviertel, als ich ihn meinen Namen rufen hörte. Er umarmte mich zur Begrüßung und bat mich auf den Ehrenplatz neben sich.
»Wo ist Euer Bruder, Agostino?«, kam ich seiner Frage zuvor,
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