Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
beunruhigte nicht die Tatsache, dass Giuliano della Rovere einer der mächtigsten Kardinäle der Kirche war. Auch sein aufbrausendes Temperament fürchtete ich nicht. Doch er war der Neffe von Lorenzos Todfeind Papst Sixtus IV . Sein Cousin Girolamo Riario war der Anstifter der Pazzi-Verschwörung gewesen, bei der mein Onkel Giuliano getötet worden war. Danach hatte Papst Sixtus Lorenzo exkommuniziert. Der Konflikt zwischen Sixtus, der das Patrimonium Petri ausweiten wollte, und Lorenzo il Magnifico, der eine politische Einheit für Italien anstrebte, um einer türkischen Invasion widerstehen zu können, hätte vor Jahren beinahe zum Krieg zwischen beiden geführt – ein römischer Witz besagte, der Heilige Vater sei so streitsüchtig gewesen, dass schon das Wort »Frieden« ihn krank gemacht hätte …
Hätte Lorenzo meinen Besuch bei Kardinal della Rovere für Verrat an meinem Onkel Giuliano und den anderen Opfern der Pazzi-Verschwörung gehalten? Würde Giuliano della Rovere, der Puppenspieler, der die Fäden der Marionette Papst Innozenz gezogen hatte, mich auslachen?
Der Kardinal war ein hoch gewachsener, hagerer Mann mit asketischen Gesichtszügen – mehr ein Condottiere als ein Kardinal! Und wie ein Feldherr stürmte er vorwärts in der höflichen Konversation und stürzte sich in medias res. Seine herrische Frage nach dem Grund meines Besuchs hatte den scharfen Beigeschmack von Ungeduld. An wie vielen solcher geheimer Treffen hatte er in den letzten Tagen teilgenommen, welche unsinnigen Vorschläge waren ihm schon gemacht worden? Eines war sicher: Keine dieser Offerten war so absurd wie meine.
»Die Kandidatur von Giovanni de’ Medici ist lächerlich! Er ist sechzehn Jahre alt und erst seit drei Jahren Kardinal.« Kardinal della Rovere verkniff sich die höhnische Bemerkung, dass er selbst vor drei Jahren im Konsistorium gegen die Ernennung meines Bruders gestimmt hatte. Er hieb mit der Faust auf die Armlehne und erhob sich von dem Sessel, auf dem er bisher gethront hatte – als sei die Audienz beendet.
Ich blieb sitzen, ließ mich nicht einschüchtern. Wir Medici hatten nichts zu verlieren, wenn er mir sein Nein entgegenschleuderte. Denn wir hatten schon beinahe alles verloren.
»Kardinal de’ Medici wird im Konklave Stimmen gewinnen, die weder Euer Eminenz noch Kardinal Borgia wählen würden. Er wird diejenigen Kardinäle für sich gewinnen, die ihn wegen seiner Jugend für willenlos und beeinflussbar halten, die selbst die Macht ergreifen wollen, ohne sich offen mit Euch oder dem Vizekanzler anzulegen«, erklärte ich ruhig.
Kardinal della Rovere starrte mich schweigend an, dann wandte er sich abrupt ab und ging zum Fenster, um zur Engelsburg hinüberzusehen. Zumindest hatte er mir nicht sein Nein entgegengebrüllt oder mich aus seinem Palazzo werfen lassen.
»Im letzten Wahlgang wird er Euch seine Stimmen übertragen«, lockte ich ihn.
Der Kardinal lachte höhnisch, ohne sich zu mir umzudrehen. »Wie viele der fünfundzwanzig Wahlzettel werden das sein?«
»Für zwei kann ich garantieren. Giovanni de’ Medici wird wie Gian Battista Orsini Euren Namen auf seinen Zettel schreiben.«
»Zwei Stimmen!« Giuliano della Rovere schien sich köstlich zu amüsieren, als hätte ich einen Scherz erzählt.
»Zwei Stimmen, vielleicht mehr, Euer Eminenz«, sagte ich energisch. »Ihr habt Rodrigo Borgia und Ascanio Sforza gegen Euch. Der Venezianer wird nicht für Euch stimmen, weil Ihr aus Savona stammt, das zu Genua gehört. Kardinal Aragón aus Neapel wird nicht für den Spanier Rodrigo Borgia stimmen. Und die Franzosen werden genau das Gegenteil von dem tun, was Neapel tut. Die Stimmen von Giovanni de’ Medici und Gian Battista Orsini, mit denen Rodrigo Borgia fest rechnet, könnten den Ausschlag geben.«
Kardinal della Rovere sah nachdenklich aus dem Fenster. Die blutigen Unruhen, die Rom während jedes Konklaves erschütterten, wurden immer wieder von den Orsini angefacht, die sich für die wahren Machthaber in der Caput mundi hielten. Mit Kardinal Orsini an seiner Seite und mit den Söldnern von Virginio und Gian Giordano Orsini wäre der Beginn seines Pontifikates mit Sicherheit friedlicher und weniger blutig.
»Habt Ihr vor, mich zu ruinieren? Wie viel werden mich diese zwei Stimmen kosten?«, seufzte der Kardinal, als er sich schließlich zu mir umwandte.
»Nichts als ein Lächeln, Euer Eminenz«, versprach ich ihm. »Von Euch und Eurem Schwager, Herzog Guido. Piero de’ Medici wird in
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