Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
durfte … konnte und wollte ich mir nicht eingestehen.
Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben des Palazzo Chigi. Der Sturm in meinem Inneren hatte sich mit derselben Heftigkeit entladen wie das Gewitter, das vor wenigen Stunden über die Stadt gefegt war. Cesare hatte meinen Körper und meinen Verstand Funken sprühen lassen. Welche Macht er über mich hatte!
Sein Gesicht ruhte neben mir auf dem Kissen. Sein Atem strich mir über die Wange, seine Augen waren geschlossen. Schlief er?
Ich beugte mich über ihn und strich über sein Haar, aber er wachte nicht auf. Ein verträumtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Vor einem halben Jahr hätte ich Cesare am liebsten umgebracht. Er hatte an Weihnachten mein Zimmer verwüstet, mein Notizbuch an sich genommen, die Cantarella aus meinem Schreibtisch gestohlen und versucht, das Giftattentat auf Papst Innozenz meinem Vater anzuhängen. Und nun, ein halbes Jahr später, lag ich mit ihm im Bett, als wäre das alles nicht geschehen.
Ich ließ mich in die Kissen sinken. Verzweifelt – das war der passende Ausdruck für meinen Geisteszustand. Zornig über meine eigene Schwäche, mich ihm hingegeben zu haben, zweifelnd, was ich nun tun sollte.
Er wirkte so friedlich, als er nackt neben mir schlief. Es wäre so einfach, so lächerlich einfach gewesen, ihn in dieser Nacht zu töten. Mein Dolch lag auf dem Nachttisch neben der Kerze, Micheletto war in seinem Zimmer. Cesare war unbewaffnet in mein Schlafzimmer gekommen. Ein schneller Griff, ein Stoß, ein Röcheln – und es wäre vorbei! Vielleicht würde er noch etwas sagen, flüstern, keuchen, mich verfluchen, blutige Rache schwören.
Ich schloss die Augen und lag reglos neben ihm. Tränen liefen über meine Wangen. Ich konnte es nicht tun! Die Schuld, ihn zu töten, konnte ich nicht auf mich nehmen. Dafür musste ich mit dem Mea culpa, mea maxima culpa weiterleben, es nicht getan zu haben, es nicht einmal versucht zu haben. Handeln oder Nichthandeln: Ich weiß nicht, welche Sünde größer war. Verantwortung: das ist die Bereitschaft, die Schuld auf sich zu nehmen. Gott war grausam und erbarmungslos, denn Er hatte mir ein Gewissen geschenkt. Und ich erkannte, dass ich im Lauf der Jahre die meiste Schuld auf mich geladen hatte von uns allen … Cesare … Rodrigo … und mir.
An nichts mehr wollte ich denken! Nicht an Giovanni, nicht an Liebe und Treue, nicht an die Macht der Medici in Florenz und der Borgia in Rom, nicht an Pflicht, Verantwortung und Disziplin – nur noch an mich selbst.
Lange vor dem Morgengrauen weckte ich Cesare mit einem zärtlichen Kuss. Er erfüllte sehr leidenschaftlich jeden meiner Wünsche.
Glücklich und zufrieden schlief ich, eng an ihn geschmiegt, ein. Mein letzter Gedanke war: Wer von uns beiden – Cesare oder ich – war eigentlich der selig schlafende Drache?
Am nächsten Morgen brachen Cesare und ich sehr früh nach Florenz auf. Mein Geliebter brachte mich zum Palazzo Medici, wo er mit Piero, Giuliano und mir ein zwangloses Mittagessen im Familienkreis einnahm, dann ritt er weiter nach Pisa, um dem Befehl seines Vaters zu gehorchen, zu packen und in die Festung von Spoleto umzuziehen. Ich ahnte, dass Cesare diesem Wunsch seines Vaters nur widerwillig gehorchte. Er hatte seine Freiheit in Pisa zu sehr genossen, um sie nun mit einem Schulterzucken aufzugeben – aber die Chancen, die sich ihm in Rom als künftiger Erzbischof von Valencia und Kardinal boten, bewogen ihn, sich ohne Widerrede zu fügen.
Wir verabschiedeten uns im Hof des Palazzo. Er schloss mich in die Arme und hielt mich fest. Dann küsste er mich und ließ mich los. »Du wirst nun zu ihm zurückkehren, nicht wahr?«
Cesare und ich waren uns in allem so ähnlich, hatten dieselben Wünsche und Ziele und setzten im Lauf der Jahre dieselben Mittel ein, um sie zu erreichen. Doch Cesare war immer einen Schritt näher an der Wirklichkeit als ich. Er gab sich keinen Illusionen hin, mich an sich binden zu können.
Denn noch am selben Abend kehrte ich zu Giovanni zurück.
Nachmittags, als Piero für seinen Aufbruch nach Rom packte – er wollte als Botschafter von Florenz bei der Krönung des neuen Papstes anwesend sein –, teilte Angelo mir mit, dass er noch an diesem Tag ausziehen würde. Ich war fassungslos. Nach Michelangelos überstürztem Exodus zwei Tage nach Lorenzos Tod wollte nun auch Angelo den Palazzo verlassen!
»Wenn meine einzige Aufgabe darin besteht, ein zuverlässiger und rhetorisch geschulter
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