Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
gehört haben. Glaubte er, den drohenden Skandal wegen meiner Aufnahme im Palazzo Medici ignorieren zu können, indem er so tat, als lebte ich schon seit Jahren hier? Doch dann kam mir ein anderer Gedanke, eine erschreckende Vorstellung: Hatte er vielleicht keine andere Wahl? Der Skandal in Florenz war so unvermeidlich wie ein Erdbeben und konnte ebenso vernichtend sein. Die Erschütterungen am Fundament seiner Macht würden bis Mailand zu spüren sein. Das Einzige, was ihm blieb, war, so zu tun, als ginge ihn das alles nichts an. Als seien seine Macht in Florenz, sein Status und sein Name unzerstörbar.
In diesem Augenblick wurde mir klar: Sie waren es nicht!
Giovanni Sforza beugte sich tief über meine Hand. Noch tiefer senkte er seinen Blick in den Ausschnitt meines Kleides. »Ich bin verzaubert von Euch«, murmelte er. »Der Morgenstern ist heute Früh vom Himmel herabgefallen.«
War es die höfische Etikette der Sforza in Mailand oder war er beeindruckt von Maddalenas kostbarem Diamantkollier? Dass er mich mit dem Morgenstern verglich, kam mir keinen Augenblick in den Sinn. Ich dankte ihm für sein Kompliment, und er nahm wieder Platz – aber nicht auf dem Sessel, auf dem er zuvor gesessen hatte, sondern auf dem Stuhl neben meinem, als könnte er es nicht ertragen, mehr als eine Elle entfernt von mir zu sitzen.
Während er und Lorenzo sich wieder in ihr Gespräch über ein Bündnis zwischen Florenz und Mailand vertieften, nahm ich mir ein wenig Fasanenpastete, Käse und Oliven und begann zu essen.
Der Conte von Pesaro erinnerte Lorenzo an die jahrzehntealte Freundschaft der Familien Sforza und Medici: »Mein Großvater, der große Condottiere Francesco Sforza, war ein Freund Eures Großvaters Cosimo, Exzellenz. Nur mithilfe der Goldfiorini des Hauses Medici war es ihm 1450 gelungen, die Visconti zu beerben und als Herzog den Thron von Mailand zu besteigen.
Cosimo hatte so viel Vertrauen in diese Freundschaft, dass er zwei Jahre später die Filiale der Banca Medici in Mailand gründete. Herzog Francescos Sohn, Galeazzo Maria Sforza, wurde oft hier im Palazzo Medici empfangen, bevor er 1476 im Dom von Mailand ermordet wurde. Und Ihr, Exzellenz, wart mehrmals ein geehrter Gast im Castello Sforzesco in Mailand. Ihr seid der Taufpate des jungen Herzogs Gian Galeazzo und der Freund des Regenten Ludovico il Moro. Was steht denn einem Bündnis zwischen Florenz und Mailand im Weg?«, fragte Giovanni Sforza mit zunehmender Ungeduld.
»Der Papst«, erwiderte Lorenzo und biss in ein Stück Pecorino, das er auf der Spitze seines Dolches balancierte.
»Papst Innozenz ist Euer Schwager, Exzellenz«, warf der Conte in einem Tonfall ein, als wäre Lorenzo diese Tatsache entfallen.
»Wie Ihr wisst, war ich bereits einmal exkommuniziert: Im Jahr 1478, nach dem Pazzi-Attentat, hat Papst Sixtus mich gebannt. Florenz litt damals monatelang unter dem Interdikt. Es gab keine Gottesdienste, keine Sakramente, keine Absolution. Ich werde die Stadt kein zweites Mal dem Interdikt aussetzen. Papst Innozenz wird den Kirchenbann gegen Florenz schleudern, sobald er auch nur den Verdacht hat, dass ich mit dem Regenten Ludovico ein Bündnis schließe. Der Sturz der Medici wäre nicht mehr aufzuhalten. Das, was Il Moro mit seinem Bündnis erreichen will – Frieden und Sicherheit –, wird also genau das bewirken, was wir beide nicht wollen: Unruhen in Florenz und Machtkämpfe der großen und reichen Familien. Damit sind die Florentiner kein verlässlicher Bündnispartner für Mailand.«
Ungestüm stellte Giovanni Sforza sein Weinglas auf den Tisch. Ein paar Tropfen des Chianti färbten die weiße Tischdecke aus Seidenbrokat blutrot. »Wenn Ihr nicht bereit seid, Ludovico die Hand zu reichen, wird er sich an den König von Frankreich oder Maximilian von Habsburg wenden«, knirschte er, offensichtlich unzufrieden mit Lorenzos Antwort. »Venedigs Expansionspolitik bedroht das Herzogtum Mailand. Es wird Krieg geben.«
Lorenzo blieb erstaunlich ruhig angesichts dieser Drohung. »Krieg? Macht Euch nicht lächerlich! Seit dem Frieden von Lodi 1454 zwischen Mailand und Venedig herrscht Krieg in Italien. Und er wird erst enden, wenn eine der beiden Mächte siegt.«
»Wünscht Ihr einen Sieg Venedigs?«, brauste Giovanni Sforza auf. Seine Faust hieb auf den Tisch und ließ die Weingläser erzittern.
»Nein, Conte: Die Handelsrepublik Venedig ist der größte Konkurrent von Florenz im Seidenhandel und bei den Gewürzimporten aus Indien und
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