Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
das Inferno zu verlassen, bevor meine Seele brannte? War das Fegefeuer von Amerigos anklagenden Blicken nicht der Hölle vorzuziehen? Er würde fragen, wo ich gewesen war. Ich würde ihm sagen, ich hätte einen Mann kennen gelernt, den ich nie mehr vergessen könnte. Denn niemals würde ich vergessen, wie Lorenzo mich umarmte, küsste und »meine Caterina« nannte.
Noch konnte ich der Hölle entfliehen! Es war ganz einfach: durch die Tür, die Treppe hinunter, durch den Innenhof zum Tor. Niemand würde mich aufhalten, wenn ich den Portier bat, das Portal für mich zu öffnen. Auf dem Weg durch die nächtlichen Straßen, am Dom vorbei zur Piazza della Signoria und weiter zur Kirche Santa Trinità, würde ich von Schatten zu Schatten huschen, um nicht einer Schar Nachtschwärmer in die Hände zu fallen.
Entschlossen schwang ich die Beine über den Rand des Bettes, wollte mich schon erheben, um zur Tür zu schleichen. Doch dann blieb ich sitzen. Ich wollte nicht aufgeben – nicht in dieser Nacht und in keiner der folgenden Nächte! Ich würde meinen Text und meine Rolle lernen! Nicht für mich – sondern für Lorenzo.
Im Morgengrauen weckte mich das Gurren der Tauben auf dem Sims neben dem Fenster, aber ich war zu müde, um ernsthaft ans Aufstehen zu denken. Ich hatte die halbe Nacht wach gelegen und nachgedacht. Und so drehte ich mich seufzend um und schlief wieder ein.
Das nächste Mal erwachte ich, als eine Dienerin leise mein Schlafzimmer betrat, um das Feuer im Kamin zu schüren. Ich sprang aus dem Bett, um ihr dabei zu helfen, und kniete mich neben sie, um die Asche aus dem Kamin zu entfernen.
»Lasst nur, das ist meine Aufgabe«, murmelte das Mädchen, das sich mir als Ginevra vorstellte. Sie nahm mir den Schürhaken aus der Hand und stocherte in den verkohlten Holzscheiten herum.
»Bitte entschuldige! Ich bin es gewohnt, jeden Morgen selbst Feuer zu machen und das Wasser zum Waschen aus dem Brunnen im Hof zu holen«, erklärte ich.
Amerigo hatte nur Violetta als Bedienstete angestellt, um für uns zu kochen. Die meisten anderen Arbeiten wie die Führung des Hauses hatte ich selbst erledigt. Nicht zuletzt deswegen hatte Amerigo mir vorgeschlagen, in den Konvent von Santa Croce zu gehen: Er wollte mir die schwere Arbeit ersparen und mir ein angemessenes Studium ermöglichen – er nannte es Studium, wenn eine junge Frau die Werke von Boccaccio und die Sonette von Petrarca las und die Kunst der anmutigen Konversation lernte. Und die Demut! Ich war nicht demütig, und ich war nicht dankbar, obwohl es mehr war, als ich erwarten durfte – wir Vespucci waren nicht reich. Nicht mehr. Amerigo wollte mir eine standesgemäße Verbindung ermöglichen – wenn ich schon kein Vermögen oder einen bekannten Namen mit in die Ehe brachte, so doch wenigstens Gelehrsamkeit. Wir Vespucci hatten kein Gold, aber Visionen – mehr als genug. Ich wollte wie Amerigo meinen Traum zu Ende träumen … eines Tages.
Ginevra lächelte verlegen: »Im Palazzo Medici müsst Ihr nicht arbeiten, Madonna Caterina. Gleich werde ich Euch das Waschwasser bringen, und dann werde ich Euch beim Anziehen helfen. Ihr habt doch nicht etwa in diesem Kleid geschlafen?«, fragte sie missbilligend.
Bevor ich antworten konnte, hatte sie sich erhoben und den Raum verlassen. Ich zog mein Kleid aus und legte es ordentlich aufs Bett. Es hatte über Nacht ein paar Knitterfalten bekommen, aber vielleicht konnte Ginevra mir ein heißes Eisen bringen, um die Falten zu glätten. Als sie zurückkehrte, wusch ich mich mit heißem, mit Rosenblüten parfümiertem Wasser. Inzwischen hatte Ginevra eine von Maddalenas Brokatroben aus einer Truhe geholt und auf dem Bett ausgebreitet.
»Der meergrüne Atlas wird gut zu Euren Haaren passen«, entschied das Mädchen und half mir in das kostbare Kleid.
»Ich bekomme keine Luft«, schnaufte ich, als Ginevra die Schleifen des Mieders zuzog. Die Robe war schwer – wie viele Ellen Seide, wie viel Brokat und Spitze sollte ich künftig tragen?
Ginevra zupfte an den Ärmeln herum, bis das seidene Unterkleid durch jeden Ärmelschlitz zu sehen war. Schließlich steckte sie mir meine langen Haare auf und befestigte sie mit einer perlenbestickten Ghirlanda. Dann führte sie mich, begeistert von ihrem Werk, vor den Spiegel.
Eine Fremde starrte mich aus dem Spiegel an. Sie war wie ich fünfzehn Jahre alt, aber sie war eine junge Frau, kein Mädchen mehr. Das Mieder betonte ihre schlanke Taille, und der Ausschnitt des Kleides
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