Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
China. Aber Florenz hat außer Pisa keinen eigenen Seehafen. Florenz kann also ohne Venedig nicht existieren – ebenso wenig wie Venedig ohne die Zölle der florentinischen Händler. Ich wünsche keinen Sieg Venedigs …«
»Dann sind wir ja einer Meinung, Exzellenz«, lächelte Giovanni Sforza siegesgewiss und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»… aber ich will auch keine Vorherrschaft Mailands«, fuhr Lorenzo unbeirrt fort, während die Gesichtszüge des Conte erfroren. »Das Gleichgewicht der Mächte in Italien darf nicht gestört werden: Der Herzog von Mailand und der Doge von Venedig, der Herzog von Ferrara und der Herzog von Urbino, der König von Neapel und der Papst belauern sich gegenseitig, damit keiner von ihnen stärker wird als alle anderen. Denn dann würde das Fundament Italiens zerbrechen.«
»Italien?«, fragte Giovanni Sforza spöttisch. »Wer ist Italien?«
»Wir alle sind Italien«, erklärte Lorenzo geduldig. »Die Hauptstadt von Italien ist nicht Mailand oder Florenz oder Rom. Italien ist eine Idee – eine Idee vom Frieden …«
»Ihr seid ein Träumer«, entgegnete der Conte von Pesaro verächtlich.
Lorenzo ließ sich nicht provozieren. »Ja, ich bin ein Träumer. Ich träume vom Frieden in Italien. Eine wunderschöne Vision!«
»Ludovico Sforza will ebenfalls Frieden. Deshalb schlägt er ein Bündnis zwischen Florenz und Mailand vor …«
»… um Venedig den Krieg erklären zu können«, ergänzte Lorenzo. »Ich werde meinem Freund Ludovico kein florentinisches Heer schicken, damit er die Serenissima angreifen kann.«
»Ihr sollt ihm keine Truppen schicken, Exzellenz. Il Moro hat das stärkste Heer südlich der Alpen, und seine Condottieri schließen bereits Wetten ab, wer als Erster auf venezianischem Boden stehen wird. Er will einen Bund, gegen den nicht einmal Papst Innozenz etwas einzuwenden haben wird: ein zartes Band der Liebe …«
Giovanni Sforza legte seine Hand auf meinen Arm, und ich erstarrte. Sein Lächeln galt mir. In meinem ohnmächtigen Zorn ließ ich meinen Dolch mit der aufgespießten Olive sinken.
Lorenzo sah mich nachdenklich an, dann wandte er sich an den Conte. »Ich habe Euch bereits gestern gesagt, dass meine Töchter verheiratet sind. Papst Innozenz wird sicherlich keinen Dispens erteilen, damit Lucrezia, Maddalena oder Contessina einen Sforza heiraten«, erklärte er kühl.
»Es muss keine Tochter sein, Exzellenz …«, begann Giovanni Sforza, und seine Finger ergriffen meine Hand, um sie zu küssen. »Ihr habt mir verschwiegen, dass Ihr eine begehrenswerte Nichte habt, die …«
Genug gehört! Ich sprang auf und warf beinahe meinen Stuhl um.
»Bitte entschuldigt mich«, flüsterte ich atemlos und floh aus dem Raum. Es war mir unerträglich, dem Gespräch – diesem Aushandeln meines Verkaufspreises – weiter zuzuhören.
Der Conte erhob sich, um mich aufzuhalten, aber ich war schneller. Ich schlug die Tür hinter mir zu.
Wenn ich nur geahnt hätte, welche Intrigen, welche diplomatischen Verwicklungen meine unbeherrschte Reaktion im Castello Sforzesco in Mailand und in den vatikanischen Palästen in Rom hervorrufen würde!
Während ich durch die Gänge und Loggien irrte, versuchte ich meine Tränen zurückzuhalten und meinen Zorn zu beherrschen, aber es gelang mir nicht. Ich floh – vor wem eigentlich? Ich riss eine Tür auf und fand mich in der Bibliothek des Palazzo wieder.
In der Mitte des Saals standen mehrere Lesepulte mit Folianten und antiken Pergamentrollen, an den Wänden ragten Bücherregale bis unter die hohe Decke. Ich ließ mich auf einer Sitzbank nieder, lehnte die Stirn gegen ein aufgeschlagenes Buch auf dem Lesepult und barg mein tränennasses Gesicht in den Händen. Meine Gedanken und Gefühle entluden sich wie ein Gewitter über den Bergen von Fiesole – mein Gesicht in das Buch gepresst, weinte ich hemmungslos in die Pergamentseiten hinein.
Ich hatte die Beherrschung verloren und Lorenzo durch mein ungestümes Verhalten kompromittiert. Giovanni Sforzas Handkuss hatte mich aus der Fassung gebracht.
Pesaro war zwar nur ein kleiner Staat zwischen der Republik Venedig und dem Herzogtum Urbino, aber Giovanni Sforza war ein Conte, der Neffe des mächtigen Regenten von Mailand, ein Sforza, und er war wohlhabend – mit einem Wort: Ich musste irrsinnig sein, ihn zurückzuweisen! Nein, meine Träume waren nicht verrückt, nur sehr eigensinnig, nach Amerigos Meinung geradezu extravagant. Aber ich war bereit zu kämpfen!
Mit
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