Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
zu haben.«
»Amerigo nennt mich respektlos, ungehorsam, eigensinnig …« Ich erinnerte mich an mein trotziges Nein, als Amerigo mir am Abend zuvor vorgeschlagen hatte, ins Kloster zu gehen.
Giulio schmunzelte. »Zweites Gebot: Bemühe dich um die Freundschaft Seiner Strebsamkeit!«
»Wer ist das: Seine Strebsamkeit?«, fragte ich verwirrt.
»Seine Eminenz, Kardinal Giovanni de’ Medici. Unser Cousin Gianni studiert in Pisa und wird nächstes Jahr den Doktorgrad in Kanonischem Recht mit einem summa cum laude erhalten. Dann wird ihm im März offiziell der Purpur verliehen. Er hat den Ehrgeiz, mit sechzehn Jahren nicht nur der einzige Kardinal in Rom zu sein, der eine Universität von innen gesehen, sondern auch den Doktorgrad in Kirchenrecht erworben hat. Aus Gianni wird noch einmal etwas …«
»Was?«, fragte ich.
»Wer mit dreizehn zum Kardinal ernannt wird und mit sechzehn seinen Doktorgrad erwirbt, hat jede Chance, Papst zu werden.«
»Was fordert das dritte Gebot?«, fragte ich.
»Lerne die Kunst des Krieges! Verrate niemandem deine Stärke oder deine wahren Absichten, nicht einmal denjenigen, die du für deine Freunde hältst. Greif an, wenn der Feind am wenigsten damit rechnet. Zieh dich zurück, wenn du nicht gewinnen kannst. Und falls du im Kampf siegst: Vernichte deinen Feind! Ich werde dir morgen das Schlachtfeld zeigen – der Palazzo Medici hat mehr verborgene Türen und Geheimtreppen, als du vermutest.« Giulio nahm meine Hand, als er mein betroffenes Gesicht sah. »Du verstößt gegen das vierte Gebot, Caterina.«
»Wie lautet es?«
»Lächle!«, sagte er ernst und hielt sich selbst nicht daran.
Die Kerze auf dem Tisch neben dem Bett war heruntergebrannt, und nur das Licht der Fackeln an der Palastfassade zur Gartenloggia erhellte den Raum. Giulio hatte erst lange nach Mitternacht seinen Vortrag über die Kunst zu überleben beendet und mich verlassen. Ich lag angekleidet zwischen den Seidenkissen auf dem Bett und starrte in das verglimmende Kaminfeuer.
Caterina de’ Medici: Das war ich. An den neuen Namen würde ich mich erst gewöhnen müssen. Er klang so stolz, so mächtig und reich, dass ich froh war, im Palazzo nur mit meinem Vornamen angesprochen zu werden.
Erst vor wenigen Stunden hatte Caterina Vespucci vor dem Palast auf Einlass gewartet, um eine Audienz beim Magnifico zu erbitten. Ich hatte es geschafft, mit Lorenzo zu sprechen und ihn zu überzeugen, dass ich die Tochter seines Bruders war. Wie sehr hatte ich mir all die Jahre gewünscht, eine Familie und ein Zuhause zu haben! Und als Amerigo mir eines Tages erklärte, wer meine Mutter und mein Vater waren, sehnte ich mich danach, ihnen so nah wie möglich zu sein. Meine Mutter Simonetta war bei meiner Geburt gestorben, mein Vater Giuliano zwei Jahre später ermordet worden. Wo konnte ich ihnen denn nah sein?
Der Palazzo Vespucci in der Nähe der Kirche Santa Trinità, in dem Simonetta mit ihrem Gemahl Marco gelebt hatte, war nach der Verbannung meines Stiefvaters verkauft worden. Die Vespucci ließen mich spüren, dass ich ein illegitimes Kind war: ein Kind der Liebe zwischen der schönen Simonetta und dem Bruder des mächtigsten Mannes von Florenz. Sie erinnerten mich daran, dass ich schuldig war am Tod meiner Mutter. Sie ließen mich wissen, dass sich die Vespucci mit den Pazzi gegen die Medici erhoben hatten, und wie Lorenzo sich an ihnen gerächt hatte.
Ich war am Ziel meiner Träume. Ich hätte glücklich sein können. Aber ich war es nicht. Denn in dem Augenblick, als ich meine Träume verwirklichte, stellten sie sich als Illusionen heraus.
Die Familie, nach der ich mich gesehnt hatte, gab es nicht. Lorenzo und seine Söhne inszenierten ein Theaterstück, und Florenz war die Bühne. Jeder der Medici kannte seine Rolle. Auf der Bühne der Politik und des Geldes spielten sie die glückliche Familie, reich und erfolgreich, unersetzlich für die Republik Florenz, für den Papst und für Italien – und hinter den Kulissen? Da vergaßen einige von ihnen ihren Text. Würde ich meine Rolle jemals lernen?
Im Hause Vespucci war ich eine Medici – hier im Palazzo Medici war ich für Piero eine Vespucci. Eines Tages sollte er seinem Vater nachfolgen. Bis dahin würde er mir das Leben zur Hölle machen – dann das Letzte Gericht: Piero würde mich aus dem Palazzo fortjagen …
Hellwach, wie aus einem tiefen Traum hochgeschreckt, setzte ich mich auf und strich mir mit beiden Händen über das Gesicht.
War es nicht besser,
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