Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
dem Taschentuch trocknete ich meine Tränen, als Giulio wenig später die Bibliothek betrat. »Lorenzo schickt mich …«, begann mein Bruder, als er sich neben mich setzte. Er schien zu überlegen, ob er mich in die Arme nehmen sollte, um mich zu beruhigen. Aber er entschied sich dagegen, als er sah, dass ich einen dicken Folianten im Arm hielt wie einen Geliebten. Liebevoll wischte er mir eine Träne aus dem Gesicht.
Lorenzo!, dachte ich. Gewiss war er wütend über mein unbeherrschtes Verhalten. Meine Flucht musste den Conte verärgert haben.
»Er will wissen, wie es dir geht«, flüsterte Giulio.
»Fantastisch«, versuchte ich ihn zu überzeugen.
Giulio lächelte und glaubte mir kein Wort. »Er will dich sprechen. Ich soll dich zu ihm bringen. Sofort!«
»Ist er zornig?«, fragte ich.
»Ja, und wie! Er tobt.«
Meine Unterredung mit Lorenzo würde denkbar kurz sein. Zweifellos würde er mich aus dem Palazzo werfen, weil ich den Gesandten von Mailand beleidigt hatte. Was war ich anderes als eine dahergelaufene Verwandte, das Kind einer stürmischen Affäre, die vor fünfzehn Jahren das Stadtgespräch von Florenz gewesen war! Ich hatte keine Manieren, keine Bildung und nicht die nötige Selbstbeherrschung, einfach still lächelnd sitzen zu bleiben, wenn die Signori de’ Medici und Sforza über Bündnispolitik sprachen. Nein, ich war nicht geschaffen für dieses Leben zwischen Intrigen und Maskenbällen, zwischen Duell und Tanz. Je früher ich wieder in mein altes Leben zurückkehrte, desto besser!
Lorenzos Zorn würde ich überstehen und auch die Schande, aus dem Palazzo Medici gewiesen zu werden. Es war unabwendbar, und ich würde mich wortlos fügen. Lorenzo würde ein Skandal erspart bleiben und mir der unvermeidliche Krieg mit Piero. Eine Nacht lang war ich eine Medici gewesen, und ich würde es niemals wieder sein. Das alles war zu ertragen. Es war etwas anderes, was mich schmerzte: Ich würde Lorenzo nie wiedersehen, nie wieder sprechen, und er würde wieder der Magnifico sein, unnahbar und unerreichbar für Caterina Vespucci.
Giulio nahm mir das schwere Buch aus der Hand, und wir verließen die Bibliothek. Während des ganzen Weges durch die Gänge des Palazzo ließ er meine Hand nicht los. Es war ein beruhigendes Gefühl. Was auch immer geschehen würde: Ich hatte einen Bruder!
Dann öffnete Giulio die Tür zu Lorenzos Studierzimmer und ließ mich eintreten. Hinter mir schloss er sie leise.
Lorenzo saß reglos hinter seinem Schreibtisch und erwartete mich. Er war immer noch zornig.
»Es tut mir Leid, Euer Exzellenz«, versuchte ich seinem Wutausbruch zuvorzukommen. »Ich erbitte Eure Vergebung für mein Verhalten gegenüber dem Conte von Pesaro.«
Lorenzo schwieg und ließ mich nicht aus den Augen.
Was will er noch von mir hören?, fragte ich mich irritiert. Soll ich auf die Knie fallen und ihn um Vergebung anflehen? Wahrscheinlich erwartete er so etwas, denn ich hatte durch mein Verhalten gegenüber dem Gesandten den Frieden zwischen Mailand und Florenz gefährdet. Nein, ich würde mich vor ihm nicht demütigen! Niemals! Denn Giovanni Sforza hatte mich ebenso brüskiert wie ich ihn. Wenn ich schon gehen musste, dann mit dem trotzigen Stolz einer Vespucci.
»Ich bin mit der höfischen Etikette nicht vertraut, Euer Magnifizenz. Ich kann nicht einmal die Tanzschritte eines Passamezzo von denen einer Pavane unterscheiden«, sagte ich in sein Schweigen hinein.
»Wenn ich ehrlich sein soll: Ich auch nicht. Dafür beherrsche ich den Tanz auf dem spiegelglatten Parkett der europäischen Politik. Er ist gefährlicher als ein Passamezzo. Man kann leicht stürzen.«
Die Doppeldeutigkeit seiner Worte war mir nicht entgangen. Fürchtete er, dass mein Benehmen Ludovicos Zorn schürte? Dass seine Herrschaft in Florenz bedroht war, wenn Il Moro ihm den Krieg erklärte? Ich senkte den Blick und schwieg.
»Zunächst solltest du dich allerdings mit dem Passamezzo und der Pavane begnügen, Caterina. Mein Freund Angelo Poliziano ist ein guter Tänzer. Er wird sie dich lehren. Gleich nach der ersten Lektion in Stillsitzen.«
»Ihr schickt mich nicht fort?«, fragte ich.
Nun war er überrascht. »Fortschicken, Caterina? Wohin?«
»Dorthin, wo ich hingehöre, Euer Exzellenz.«
»Du gehörst hierher, Caterina. Du bist eine Medici.«
»Aber Ihr seid zornig …«
»Auf den Conte von Pesaro und seine unglaubliche Impertinenz, sich über bereits getroffene Entscheidungen hinwegzusetzen! Ich bin verärgert über
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