Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
und den größten Teil meiner schlanken Beine verdeckten. Im Sommer konnte ich die weichen Stiefelschäfte nach unten krempeln, sodass eine bestickte Samtborte sichtbar wurde. Mein Entwurf eines Baretts mit eingenähter Maske aus schwarzem Samt bereitete dem Schneider einige Schwierigkeiten, aber schließlich lieferte er, was ich mir wünschte.
Ich war frei und konnte gehen, wohin ich wollte, wann ich wollte und mit wem ich wollte: inkognito.
Der Palazzo Medici war in heller Aufregung, als Giovanni und ich gegen Mittag des 24. Dezember im verschneiten Hof ankamen.
In den letzten Tagen hatten wir Tag und Nacht laboriert. Wir hatten beschlossen, die Arbeit während der Weihnachtsfeiertage zu unterbrechen. Giovanni wollte ein paar Tage im Palazzo bleiben, um in der Laurenziana Werke von Gerbert d’Aurillac und Arnoldus de Villanova zu studieren, während ich Sandro Botticelli in seinem Laboratorium besuchte, um ihn um Rat zu fragen. Die Mortificatio, die Operation zur Herstellung des Aurum potabile, bereitete Giovanni seit Wochen unerwartete Schwierigkeiten.
Der Majordomus, der mir unnötigerweise vom Pferd half, erzählte mir, ein Bote aus Pisa habe Seine Magnifizenz vor wenigen Minuten von der Ankunft Seiner Eminenz, Kardinal de’ Medici, innerhalb der nächsten Stunde in Kenntnis gesetzt.
Gianni kommt nach Hause!, freute ich mich: Das wird ein fröhliches Weihnachtsfest.
Giovanni ließ seine Truhen in sein Refugium im zweiten Stock bringen und begab sich zu Lorenzo. Ich eilte in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Ginevra flocht noch mit verbissenem Gesicht ein Perlenband in mein Haar, als aus dem Hof der Ruf erscholl: »Er kommt! Seine Eminenz ist da!«
Ich half Ginevra, die widerspenstigen Locken zu bändigen, dann eilte ich zu Lorenzo, der seinen Sohn oben an der Treppe erwartete. Er hatte zu große Schmerzen, um die Stufen hinabzusteigen und Gianni im Hof zu empfangen. Piero, Angelo und Giovanni standen neben Lorenzo.
Giuliano, der seinem älteren Bruder lachend entgegengeeilt war, kam Arm in Arm mit Gianni die Treppe hinaufgestürmt.
Lorenzo fiel vor seinem Sohn auf die Knie, um dessen Ring zu küssen. »Euer Eminenz, willkommen zu Hause!«
Gianni beugte sich liebevoll zu ihm hinunter. »Vater! Ich bitte dich, demütige dich nicht vor mir!« Er half Lorenzo beim Aufstehen und umarmte ihn herzlich.
»Ich freue mich, dass du gekommen bist«, flüsterte sein Vater.
»Und ich erst! Endlich kann ich nach Herzenslust in den neuen Büchern der Laurenziana stöbern. Wenn ich nach Pisa zurückkehre, werde ich etliche Pfund zugenommen haben: von den köstlichen Weihnachtsbraten und von dem Wissen aus den Büchern.« Gianni wurde ernst. »Aber noch mehr würde ich mich freuen, wenn du auch jemand anderem einen solch herzlichen Empfang bereiten würdest wie mir eben.«
»Jemand anderem, Gianni?«, fragte Lorenzo. »Wem?«
»Deinem ›verlorenen Sohn‹.«
Lorenzo blickte über Giannis Schulter und sah, wie Giulio langsam die Treppe heraufkam. Auch seine schwarze Soutane war schlammbespritzt, aber die Rubine des Kreuzes des Johanniterordens von Rhodos funkelten blutrot auf seiner Brust. Seine Hand umklammerte das Kreuz, als fürchtete er, Lorenzo könnte es ihm in seinem Zorn wegreißen.
Kardinal Rodrigo Borgia hat Giulio zum Ritter des Johanniterordens ernannt, dachte ich verwirrt. Giannis Stimme im bevorstehenden Konklave schien wichtiger zu sein, als ich zunächst angenommen hatte …
Lorenzo rührte sich nicht, als Giulio eine Stufe unter ihm stehen blieb und zu ihm aufsah. Er sagte kein Wort, als Giulio vor ihm auf die Knie fiel, seine Beine umfasste und weinte. »Bitte vergib mir! Ich konnte nicht anders handeln«, schluchzte Giulio und wischte sich mit dem Ärmel seiner Soutane die Tränen aus dem Gesicht. Wie sehr musste ihn Lorenzos Schweigen verletzen!
»Steh auf!«, befahl Lorenzo unwillig. »Ein Medici kniet nicht.«
Mein Bruder erhob sich, erklomm die letzte Stufe und wäre fast gestolpert, wenn Giuliano ihn nicht festgehalten hätte. Giulio war furchtbar aufgeregt! Ohne ein Wort der Vergebung schloss Lorenzo seinen Neffen in die Arme – wie einen Fremden, dem er Gastfreundschaft in seinem Haus gewährte.
Ich war betroffen: Lorenzo hatte Giulio nicht verziehen!
Als mein Bruder Piero und die anderen begrüßte, wandte sich Gianni an Lorenzo: »Ich habe einen Freund mitgebracht. Ich hoffe, du bist einverstanden, wenn er während der Weihnachtsfeiertage im Palazzo wohnt?«
»Deine Freunde
Weitere Kostenlose Bücher