Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
eine Gasse bildeten, damit Seine Magnifizenz, Lorenzo de’ Medici, Seine Eminenz, Kardinal Giovanni, die Familie und die Freunde des Magnifico bis vor die weihnachtlich geschmückte und von Kerzen erleuchtete Kanzel treten konnten.
Fra Mariano gab sich sehr viel Mühe mit seiner Christmesse. Er las mit seiner wohlklingenden Stimme aus dem Lukas-Evangelium, legte uns eloquent die Geburt Jesu Christi aus und fand amüsante Bezüge zum Mythos der Geburt Apollons als Sohn des Göttervaters Zeus. Er war bezaubernd, die Gläubigen hingen an seinen Lippen, er machte einen Scherz, und sie lachten, er war ernst, und sie betrachteten andächtig die herrlich funkelnden Schmuckstücke seiner Worte.
Lorenzo, der sich während der Messe auf Giovanni stützte, schien sich über Fra Marianos Predigt zu amüsieren, er schmunzelte sogar, als der Frater ohne mit der Wimper zu zucken Platon zitierte, der seiner Meinung nach ebenso gut geeignet war, die Gläubigen zum Schönen, Guten und Wahren hinzuführen wie die Evangelien. Er glaubte wie Giovanni, dass alle Religionen von einer göttlichen Offenbarung stammten, die von Juden, Muslimen und Christen nur auf unterschiedliche Weise ausgelegt wurde.
Fra Mariano war aufgeregt, geradezu flatterig, weil der Magnifico, der Kardinal de’ Medici und der Bischof von Pamplona an der Weihnachtsmesse teilnahmen. Er begann sich in seinen eleganten lateinischen Sätzen zu verfangen und über Worte zu stolpern, als er Cesares Stirnrunzeln bemerkte und sich ganz auf die Reaktionen des Bischofs von Pamplona unterhalb der Kanzel konzentrierte. Und als der Augustinermönch schließlich den Dominikaner Fra Girolamo mit abwartend verschränkten Armen am Portal seiner Kirche erkannte, war es um seine Beherrschung geschehen.
Er, der eben noch in der Sprache der Engel die Liebe eines vergebenden Gottes verkündet hatte, war nicht einmal mehr fähig, einen verständlichen Satz in der Sprache der Menschen zu formulieren. Er, der die Evangelien in griechischer Sprache auswendig kannte und dessen vollendetes Latein selbst Cicero den blanken Neid ins Gesicht getrieben hätte, dachte, er würde seinem Freund Lorenzo de’ Medici einen Gefallen tun, wenn er in seiner Predigt innehielt und den Dominikaner in Italienisch anbrüllte, die Heilige Messe nicht zu stören.
Lorenzo war Fra Marianos Auftreten auf der Kanzel mehr als peinlich. Er versuchte, den Augustiner zum Schweigen zu bringen, aber der steigerte sich in seinen Hass gegen den Dominikaner hinein, sodass schließlich die Unruhe in den Reihen der Gläubigen die Tiraden von der Kanzel übertönte.
Savonarola stand schweigend, besonnen und beherrscht in der letzten Reihe und ließ sich von Fra Mariano beschimpfen, obwohl er nichts getan hatte, um den Gottesdienst zu stören – nichts, als anwesend zu sein. Schließlich drehte er sich um und verließ ohne ein Wort die Kirche.
Giovanni stürzte mit gesenktem Blick seinem Freund hinterher.
Als auch Giulio ihm folgen wollte, hielt Gianni seinen Cousin am Arm zurück. In diesem Augenblick verhinderte er entschlossen ein Auseinanderbrechen der Familie Medici. Ich habe den sonst so fröhlichen und unbeschwerten Gianni nur noch ein einziges Mal so zornig gesehen wie an diesem Weihnachtsfest, als Giulio Savonarola hinterherlaufen wollte: Das war viele Jahre später, im Jahr 1518, als ein Kardinal ihm, Papst Leo X., vorschlug, den deutschen Augustinermönch Martin Luther mit einer Ernennung zum Kardinal in Rom zum Schweigen zu bringen, um die Einheit der Kirche zu retten …
Ein Tumult war in San Lorenzo entstanden. An eine Fortsetzung des Gottesdienstes war nicht mehr zu denken. Hilflos stand Fra Mariano auf seiner Kanzel und sah mit zornig geballten Fäusten zu, wie die ersten Gläubigen die Kirche verließen.
»Das ist ein wirklich fröhliches Weihnachtsfest«, grinste Cesare. »Ich habe das Vergnügen, im Palazzo und in der Kirche der Medici zweien der berühmtesten Ketzer zu begegnen: Giovanni Pico und seinem Freund Girolamo Savonarola. Aber damit nicht genug! Während der Heiligen Messe streiten sich Fra Mariano und Fra Girolamo. Ein denkwürdiges Wortgefecht zwischen einem Augustiner und einem Dominikaner – und das erste Mal, dass der Dominikaner im Disput gewinnt, weil er im richtigen Augenblick geschwiegen hat. Ich bin froh, dass ich Giannis Einladung angenommen habe. Verglichen mit Florenz ist Rom todlangweilig!«
Lorenzo stand mit geschlossenen Augen inmitten der wogenden Menge. Giovanni, auf
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