Die Kartause von Parma
sagte, das stimmte.
Die Augen der Höflinge, denen ihre Seele nicht zu schaffen macht, sind immer auf Äußerlichkeiten eingestellt. Sie hatten beobachtet, daß die Duchezza besonders an solchen Tagen, da Clelia nicht aus ihren süßen Träumereien aufzuwachen und Teilnahme für irgend etwas vorzutäuschen vermochte, sich mit Vorliebe ihr zu nähern und mit ihr zu plaudern suchte. Clelia hatte aschblondes Haar, das sich auf das lieblichste gegen die zarte Färbung ihrer fast zu blassen Wangen abhob. Schon an der Form ihrer Stirn konnte ein aufmerksamer Betrachter erkennen, daß diese edle Erscheinung, dieser Gang, der die alltägliche Anmut tief in den Schatten stellte, aus einer gründlichen Gleichgültigkeit gegen alles Gewöhnliche entsprang. Sie litt am Mangel, aber nicht an der Unfähigkeit, sich für irgend etwas zu erwärmen. Seit ihr Vater Kommandant der Zitadelle war, fühlte sich Clelia in ihrer hochgelegenen Wohnung glücklich oder mindestens kummerfrei. Die gräßlich vielen Stufen, die man steigen mußte, um in die Kommandantur auf der Plattform des breiten Turmes zu gelangen, hielten langweilige Besucher fern. Aus diesem äußeren Grunde erfreute sich Clelia einer gleichsam klösterlichen Einsamkeit, wie sie ihr immer als das Ideal von Glück vorschwebte, so daß sie eine Zeit lang tatsächlich an den Eintritt in ein Kloster gedacht hatte. Eine Art Schauder ergriff sie, wenn sie nur daran dachte, ihre teuere Stille und ihre verborgenstenGedanken einem jungen Manne preiszugeben, den der Titel Ehegemahl berechtigte, ihr Innenleben zu stören. Hatte sie durch diese Abgeschiedenheit auch nicht das Glück gefunden, so half sie ihr doch wenigstens, schmerzlichen Erlebnissen aus dem Wege zu gehen.
An dem Tage, da Fabrizzio in die Zitadelle gebracht worden war, traf Clelia in der Abendgesellschaft beim Grafen Zurla, dem Minister des Inneren, mit der Duchezza zusammen. Alle Welt umringte die beiden Damen, aber an diesem Abend übertraf Clelia die Duchezza an Schönheit. Die Augen des jungen Mädchens hatten einen so seltsamen und innigen Ausdruck, daß sie fast verräterisch erschienen: sie sprachen von Mitleid, Entrüstung und Zorn. Die Heiterkeit und die sprühende Laune der Duchezza schienen Clelia wehmütige Anwandlungen einzuflößen, die sich bis zum Grausen steigerten. ›Wie würde die arme Frau jammern und seufzen, wenn sie wüßte, daß ihr Geliebter, jener hochherzige junge Mann mit dem so vornehmen Gesicht, soeben in den Kerker geworfen worden ist! wenn sie die Blicke des Fürsten gesehen hätte, die ihn zum Tode verurteilt haben! O Italien, wann wird dich kein Absolutismus mehr bedrücken! Weg mit den käuflichen und niedrigen Menschen! Ach, daß ich die Tochter eines Kerkermeisters bin! Und ich habe dem edlen Manne nicht gezeigt, daß ich mich dessen schäme! Ich habe ihn keiner Antwort gewürdigt, obgleich er einst mein Wohltäter war. Was mag er jetzt von mir denken, einsam in seiner Zelle, beim Schimmer eines dürftigen Lämpchens?‹
Aufgewühlt durch den Gedanken daran, sah Clelia voller Entsetzen in den großartig erleuchteten Empfangssaal des Ministers.
Im Schwärm der Höflinge, die die beiden Modeschönheiten umdrängten und sich in ihre Plaudereien einzumischen suchten, flüsterte man sich zu: »In so lebhafter, zuweilen sogar vertraulicher Weise haben sich die beiden nie unterhalten! Sollte die Duchezza, die immer bemühtist, den durch den Premierminister entfachten Haß zu beschwichtigen, irgendeinen Heiratsplan mit Clelia im Schilde führen?«
Diese Vermutung gewann Nahrung durch eine Tatsache, die von der Hofgesellschaft zum allerersten Male festgestellt wurde: die Augen des jungen Mädchens hatten mehr Feuer, ja, wenn man so sagen darf, mehr Leidenschaft als die Augen der Herzogin. Selbst die Sanseverina war erstaunt und – zu ihrer Ehre sei es gesagt – entzückt über diesen neuen Reiz, den sie an der schönen Einsiedlerin entdeckte; seit einer Stunde betrachtete sie Clelia mit einer Freude, wie sie wohl selten angesichts einer Nebenbuhlerin empfunden wird. ›Was geht da vor sich?‹ fragte sich die Duchezza. ›Nie hat Clelia so schön, man möchte sagen, so rührend ausgesehen; sollte ihr Herz erwacht sein? Aber dann ist es sicherlich eine unglückliche Liebe, im Hintergrund ihrer so jungen Leidenschaft lauert düsterer Kummer. Unglückliche Liebe ist stumm. Will sie sich einen Wankelmütigen durch einen Triumph in der Gesellschaft wiedererobern?‹
Die Duchezza musterte
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