Die Kartause von Parma
vor?« fragte sie den Wachtmeister.
»Signorina, das ist der junge del Dongo. Er hat dem frechen Barbone soeben eine anständige Ohrfeige gegeben!«
»Wie, der Verhaftete ist Monsignore del Dongo?«
»Zweifellos!« antwortete der Wachtmeister. »Wegen der hohen Herkunft des armen jungen Mannes hat man so große Umstände gemacht. Ich dachte, Signorina wüßten alles.«
Clelia wich nicht mehr vom Wagenfenster. Als die Gendarmen, die den Tisch umstanden, ein wenig auseinanderrückten, sah sie den Gefangenen. ›Wer hätte gedacht, als ich ihm auf der Straße am Comer See begegnete,‹ dachte sie, ›daß ich ihn zum ersten Male in so trauriger Lage wiedertreffen sollte? Er reichte mir die Hand, als ich in den Wagen seiner Mutter stieg ... Die Duchezza war mit dabei ... Ob ihre Liebe damals gerade anfing ?‹
Der Leser muß wissen, daß die von der Marchesa Raversi und dem General Conti gelenkte liberale Partei die Überzeugung zur Schau trug, daß zwischen Fabrizzio und der Duchezza zarte Beziehungen bestünden. Der hintergangene Graf Mosca, den man haßte, war der Gegenstand ewiger Witzeleien.
›So ist er nun in der Hand seiner Feinde!‹ dachte Clelia. ›Der Graf Mosca wird sich heimlich über diesen Fang ins Fäustchen lachen. Sonst müßte er ein Engel sein.‹Im Amtszimmer erscholl unbändiges Gelächter.
»Jacopo,« fragte sie den Wachtmeister mit unsicherer Stimme, »was gibts?«
»Der General hat den Gefangenen barsch gefragt, warum er Barbone geschlagen habe. Monsignore Fabrizzio hat kaltblütig geantwortet: ›Er hat mich einen Mörder genannt; er soll mir die Urkunden vorweisen, die ihn berechtigen, mir diesen Titel beizulegen!‹ Darüber lacht man.«
Ein schreibkundiger Aufseher ersetzte Barbone. Clelia sah diesen aus dem Hause kommen, wie er sich mit seinem Taschentuch das Blut abwischte, das ihm reichlich über sein scheußliches Gesicht tropfte. Er fluchte wie ein Heide. »Dieser verdammte Fabrizzio«, wetterte er dröhnend, »soll nur durch meine Hand sterben, und wenn ich Henker werden sollte!«
Er war zwischen dem Fenster des Amtszimmers und dem Wagen des Generals stehen geblieben, um Fabrizzio zu beobachten; seine Schimpfereien verdoppelten sich.
»Geh deiner Wege,« rief ihm der Wachtmeister zu, »oder fluche wenigstens nicht so vor der Signorina!«
Barbone wandte den Kopf und sah in den Wagen; seine Augen begegneten denen Clelias. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus; nie hatte sie ein Gesicht mit so abscheulichem Ausdruck gesehen. ›Er wird Fabrizzio ermorden!‹ sagte sie sich. ›Ich muß schnell Don Cesare für ihn gewinnen!‹ Das war ihr Onkel, einer der angesehensten Geistlichen der Stadt. Sein Bruder, der General Conti, hatte ihm die Stelle des Verwalters und Almoseniers im Gefängnis verschafft.
Der General stieg wieder in den Wagen.
»Willst du nach Hause zurück,« fragte er seine Tochter, »oder willst du im Schloßhof warten? Es dauert vielleicht lange. Ich muß Serenissimus über alles Geschehene sofort Vortrag halten.«
Fabrizzio verließ die Kanzlei in Begleitung von drei Gendarmen; man führte ihn nach seiner Zelle. Clelia blicktedurch das Wagenfenster; der Gefangene ging dicht an ihr vorüber. Sie antwortete gerade auf die Frage ihres Vaters und sagte: »Ich möchte mit dir gehen!«
Fabrizzio hörte diese ganz nahe bei ihm gesprochenen Worte, er sah auf, und sein Blick begegnete dem des jungen Mädchens. Der schwermütige Ausdruck in Clelias Antlitz fiel ihm besonders auf. ›Seit Como ist sie viel schöner geworden! Wie gedankenvoll ihre Augen sind! Man vergleicht sie nicht zu Unrecht mit der Duchezza. Sie hat wahrhaftig ein Gesicht wie ein Engel!‹
Barbone, der blutende Schreiber, der nicht ohne Grund in der Nähe des Wagens stehen geblieben war, hielt die drei Gendarmen, die Fabrizzio abführten, durch einen Blick auf und ging von hinten an den Wagen heran. Auf der Seite, wo der General saß, an das Wagenfenster tretend, sagte er zu diesem: »Da der Gefangene innerhalb der Zitadelle gewalttätig geworden ist, wäre es da nach Paragraph 157 der Gefängnisordnung nicht angebracht, ihm auf drei Tage Handschellen anzulegen?«
»Scher dich zum Teufel!« fuhr ihn der General an, den diese Verhaftung arg in Verlegenheit brachte. Es lag ihm daran, es weder mit der Duchezza noch mit dem Grafen Mosca zu verderben. Wie würde der Graf übrigens diese Geschichte auffassen? Im Grunde war die Ermordung Gilettis eine Kleinigkeit, und nur Quertreibereien hatten die
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