Die Kartause von Parma
Sache aufgebauscht.
Während dieser kurzen Unterredung stand Fabrizzio zwischen den Gendarmen stolzer und vornehmer denn je; seine zarten, feinen Züge und das verächtliche Lächeln, das um seine Lippen spielte, bildeten einen entzückenden Gegensatz zu dem plumpen Aussehen der ihn umringenden Gendarmen. Aber alles das war sozusagen nur das Gefäß seiner Empfindungen. Er war über Clelias Schönheit beseligt, und seine Augen verrieten sein helles Staunen. Tief in Grübeleien versunken, hatte sich Clelia vergessen und sah immer noch zum Wagenfenster hinaus; er grüßte sie mit einem leisen, ehrfürchtigen Lächeln undsagte darauf: »Signorina, wenn ich nicht irre, habe ich bereits einmal, in der Nähe des Sees, die Ehre gehabt, Ihnen unter Bedeckung von Gendarmen zu begegnen.«
Clelia wurde rot und so verlegen, daß sie keine Antwort fand. ›Wie vornehm er aussieht, mitten unter diesen groben Leuten!‹ sagte sie sich, als Fabrizzio sie ansprach. Das tiefe Mitleid, man könnte beinahe sagen, die Rührung, die sie ergriff, benahm ihr die nötige Geistesgegenwart für irgendein paar Worte. Sie wurde sich ihres Stillschweigens bewußt und errötete noch stärker.
In diesem Augenblick schob man die Riegel des Haupttores der Zitadelle mit Wucht zurück; wartete doch der Wagen Seiner Exzellenz schon mindestens eine Minute. Es polterte so heftig im Torgewölbe, daß Clelia nun erst recht nichts einfiel, und Fabrizzio hätte ihre Worte auch nicht verstehen können.
Der Wagen rollte dahin; jenseits der Zugbrücke trabten die Pferde sofort an. ›Er wird mich recht kindisch gefunden haben!‹ sagte Clelia zu sich. ›Nein, nicht nur kindisch. Er wird denken, ich hätte eine gemeine Seele; er wird denken, ich hätte seinen Gruß nicht erwidert, weil er ein Gefangener ist und ich die Tochter des Kommandanten bin.‹
Dieser Gedanke brachte das junge Mädchen, das eine erhabene Seele hatte, zur Verzweiflung. ›Was mein Benehmen ganz verächtlich macht,‹ fuhr sie fort, ›das ist der Umstand, daß ich damals, als wir uns zum ersten Male sahen, ebenfalls unter Bedeckung von Gendarmen war, wie er sagt, daß ich mich selbst damals in Gefangenschaft befand und daß er mir zu Diensten war und mich aus einer sehr mißlichen Lage befreite. Jawohl, ich muß es bekennen, mein Benehmen ist der Gipfel der Unartigkeit und Undankbarkeit. Ach, der arme junge Mann! Jetzt, da er im Unglück ist, wendet sich alle Welt von ihm ab. Damals hat er zu mir gesagt: ›Werden Sie sich in Parma meines Namens erinnern?‹ Wie sehr wird er mich nun verachten! Ich hätte ihm so leicht ein verbindlichesWort sagen können! Mein Benehmen gegen ihn war wirklich gräßlich! Ohne die großmütige Aufforderung seiner Mutter, in ihren Wagen zu steigen, hätte ich damals zu Fuß hinter den Gendarmen gehen oder mich gar, was noch schlimmer gewesen wäre, hinten auf die Kruppe eines ihrer Pferde setzen müssen. Damals war mein Vater ein Gefangener und ich ohne Schutz! Gewiß, mein Benehmen ist unerhört. Und wie tief mag das eine Natur wie er empfinden! Was für ein Unterschied zwischen seinen edlen Mienen und meinem Verhalten! Welche Vornehmheit, welche Gelassenheit! Er sah aus wie ein Held, umringt von seinen niedrigen Feinden! Jetzt begreife ich die Leidenschaft der Duchezza. Wenn er in einer derart mißlichen Lage, die noch die schrecklichsten Folgen haben kann, so ist, wie muß er dann erst sein, wenn seine Seele jubelt!‹
Der Wagen des Kommandanten der Zitadelle wartete länger als anderthalb Stunden im Schloßhof, und doch fand Clelia, als der General von seinem Empfang bei Serenissimus zurückkam, gar nicht, daß er allzu lange ausgeblieben wäre.
»Welche Absichten hat Serenissimus?« fragte Clelia.
»Seinem Worte nach: Gefängnis, aber seinem Blicke nach: den Tod!«
»Den Tod! Großer Gott!« rief Clelia aus.
»Ei, schweig doch still!« brummte der General. »Was bin ich so dumm, einem Kinde zu antworten!«
Unterdessen stieg Fabrizzio die dreihundertundachtzig Stufen hinauf, die zur Torre Farnese führen, dem neuen Gefängnis, das auf der Plattform des breiten, turmartigen Unterbaues in wunderbarer Höhe angelegt ist. Nicht ein einziges Mal wurde er sich klar bewußt, welch großer Umschwung sich soeben in seinem Geschick vollzogen hatte. ›Was für ein Blick!‹ sagte er sich. ›Was drückte er nicht alles aus! Welches tiefe Mitgefühl! Als ob er sagen wollte: ›Das Leben ist nur eine Kette von Unglücksfällen! Betrübe dich nicht über
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