Die Kartause von Parma
das, was dir zustößt! Sindwir nicht alle nur da, um unglücklich zu sein?‹ – Wie lange ihre schönen Augen doch auf mir ruhten, selbst dann noch, als die Pferde mit Donnergepolter durch das Torgewölbe liefen!‹
Fabrizzio vergaß völlig, unglücklich zu sein.
Clelia folgte ihrem Vater durch mehrere Gemächer; zu Beginn der Abendgesellschaft wußte noch kein Mensch die Neuigkeit von der Verhaftung des großen Verbrechers. So nämlich wurde der unvorsichtige arme junge Mann zwei Stunden später von der Hofgesellschaft getauft.
An diesem Abend bemerkte man, daß Clelias Gesicht bewegter als sonst war; denn Teilnahme für ihre Umgebung war das, was diesem edlen Mädchen vornehmlich fehlte. Wenn man ihre Schönheit mit der der Duchezza verglich, so war es hauptsächlich ihre Art, sich durch nichts rühren zu lassen, gleichsam über alle Dinge erhaben zu sein, was die Waagschale zugunsten ihrer Nebenbuhlerin sinken ließ. In England oder in Frankreich, dem Lande der Eitelkeit, hätte man wahrscheinlich ein ganz entgegengesetztes Urteil gefällt. Clelia Conti war noch ein wenig zu schlank, als daß man sie mit den schönen Gestalten Guido Renis vergleichen konnte. Wir wollen keineswegs leugnen, daß man ihrem Antlitz, an der griechischen Antike gemessen, etwas zu ausgeprägte Züge vorwerfen konnte; so waren beispielsweise ihre Lippen bei aller Holdseligkeit etwas zu voll. Die bewundernswerte Eigenart ihres Gesichtes, aus dem Jugendfrische und hoher Seelenadel hervorleuchteten, erinnerte bei aller seltenen und seltsamen Schönheit in keiner Weise an die Köpfe griechischer Statuen. Im Gegensatz zu ihr wies die Duchezza ein wenig zuviel von dem allbekannten Schönheitsideal auf. Ihr echt lombardischer Kopf gemahnte an das wollüstige Lächeln und die zärtliche Schwermut der schönen Tochter der Herodias von Leonardo da Vinci. So sprühend von Geist und Bosheit die Duchezza war, so leidenschaftlich, wenn man so sagendarf, sie sich für alle Dinge erwärmte, die der Lauf eines Gespräches vor ihr geistiges Auge führte, ebenso kühl und schwer zu begeistern war Clelia, sei es aus Geringschätzung gegen ihre Umwelt, sei es aus Sehnsucht nach irgendeinem unerreichbaren Traumbild. Lange Zeit ging das Gerücht, sie wolle sogar ins Kloster gehen. Mit zwanzig Jahren machte sich ihre Abneigung, Bälle zu besuchen, bemerkbar, und wenn sie sich mit ihrem Vater in Gesellschaften zeigte, so geschah das nur aus Gehorsam und um seine ehrgeizigen Pläne nicht zu schädigen.
›Obwohl mir der Himmel‹, pflegte sich die gewöhnliche Seele des Generals zu sagen, ›das schönste und tugendsamste Mädchen im Lande zur Tochter gegeben hat, so wird es mir doch unmöglich sein, daraus irgendwelchen Vorteil für mein Vorwärtskommen zu ziehen. Ich stehe viel zu einsam da, habe niemanden in der Welt und bedarf in hohem Grade einer Familie, die mich in der Gesellschaft stützt und mir eine gewisse Anzahl Salons eröffnet, wo meine Verdienste und vor allem meine Fähigkeit zum Minister ohne Widerrede anerkannt werden. Je nun, meine Tochter, so schön, so klug, so fromm sie ist, wird schlechter Laune, sobald ihr ein bei Hofe gut angeschriebener junger Mann seine Huldigungen darzubringen wagt. Ist ein Freier höflich abgewiesen, so wird ihr Wesen weniger düster, ja ich finde sie beinahe heiter, so lange, bis sich wieder ein anderer Bewerber einstellt. Der schönste Mann am Hofe, der Graf Baldi, hat um sie geworben und ihr mißfallen. Der reichste Mensch im Staate Parma, der Marchese Crescenzi, ist nach ihm gekommen; sie behauptet, er würde sie unglücklich machen.‹
›Unbestritten‹, sagte der General andere Male, ›hat meine Tochter schönere Augen als die Duchezza, zumal sie die Fähigkeit haben, bei besonderen Anlässen den seelenvollsten Ausdruck anzunehmen. Aber wer kriegt diesen herrlichen Ausdruck zu sehen? Im Salon, wo sie ihr Glück damit machen könnte, kein Mensch! Höchstens auf derPromenade, wenn sie allein mit mir ist, wenn sie sich rühren läßt, zum Beispiel durch das Unglück irgendeines schrecklichen Krüppels. Behalte etwas von diesem himmlischen Ausdruck, sage ich bisweilen zu ihr, für die Gesellschaft, in die wir heute abend gehen wollen! Gerade nicht! Geruht sie, überhaupt dabei zu sein, so nimmt ihr edles und keusches Gesicht den genugsam hochmütigen und wenig ermutigenden Ausdruck unfrohen Gehorsams an.‹ Der General scheute ersichtlich keine Mühe, einen passenden Schwiegersohn zu finden, und was er da
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