Die Kartause von Parma
aufmerksam die jungen Männer um sie herum; allenthalben erblickte sie Alltagsgesichter, lauter mehr oder weniger selbstzufriedene Übersättigung. ›Hier geschieht ein Wunder!‹ dachte die Duchezza, ärgerlich, es nicht enträtseln zu können. ›Wo ist der Graf Mosca, der feine Menschenkenner? Ich täusche mich gewiß nicht. Clelia blickt mich so aufmerksam an, als ob ich ihr der Gegenstand einer soeben geweckten Teilnahme wäre. Ist das die Folge von irgendeinem Befehl ihres Vaters, dieses feilen Hofschranzen? Nein, ich glaube nicht, daß sich diese reine, junge Seele dazu erniedrigt. Sollte der General Fabio Conti dem Grafen ein wichtiges Anliegen übermitteln wollen?‹
Gegen zehn Uhr trat ein Freund der Duchezza nahe an sie heran und flüsterte ihr ganz leise ein paar Worte zu. Die Sanseverina ward totenbleich. Clelia ergriff ihre Hand und wagte sie zu drücken.
»Ich danke Ihnen! Und jetzt verstehe ich Sie. Sie sind hochherzig!« sagte die Duchezza, sich mit Mühe fassend. Sie hatte kaum die Kraft, diese wenigen Worte herauszubringen. Sie widmete der Hausfrau ein Lächeln und verabschiedete sich. Die Gräfin Zurla stand auf und gab ihr bis zur Tür des letzten Gemachs das Geleit. Diese Ehrenbezeigung, die nur Prinzessinnen von Geblüt zusteht, ließ die Duchezza ihr augenblickliches Unglück um so grausamer empfinden. Sie lächelte der Gräfin auf das liebenswürdigste zu, aber trotz größter Anstrengung vermochte sie ihr nicht ein einziges Wort zu sagen.
Clelias Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Duchezza so mitten durch diese Gemächer wandeln sah, die alles bevölkerte, was damals in der Gesellschaft hervorragte. ›Was wird die arme Frau tun, wenn sie allein in ihrem Wagen sitzt? Es wäre anmaßend von mir, böte ich ihr meine Begleitung an! Ich wage es nicht. Was für ein Trost wäre es für den armen Gefangenen, der in seiner öden Zelle sitzt bei seinem dürftigen Lämpchen, wenn er wüßte, daß er so geliebt wird! Er schmachtet in gräßlicher Einsamkeit, und wir, wir sind hier in diesen strahlenden Gemächern! Schauderhaft! Gibt es ein Mittel, ihm ein Wort zukommen zu lassen? Großer Gott, das hieße Verrat an meinem Vater üben! Seine Stellung zwischen den beiden Parteien ist so schwierig! Was geschähe, wenn er dem leidenschaftlichen Haß der Duchezza verfiele? Sie hat den größten Einfluß auf den Premierminister, und der ist in drei Vierteln aller Staatsangelegenheiten der Gebieter! Anderseits beschäftigt sich Serenissimus unaufhörlich mit den Vorgängen in der Zitadelle und versteht in dieser Hinsicht keinen Spaß. Die Angst macht ihn grausam. Auf alle Fälle ist Fabrizzio – Clelia nannte ihn nicht mehr Monsignore del Dongo – unendlich zu bedauern. Es handelt sich für ihn um mehr als nur den Verlust einer einträglichen Pfründe. Und die Duchezza! Was für eine schreckliche Leidenschaft ist die Liebe! Und doch faseln alle Schwärmer der Welt von ihr als demBorn des Glücks! Man beklagt alt gewordene Frauen, weil sie keine Liebe mehr empfinden und erwecken können! Nie werde ich vergessen, was ich soeben gesehen habe! Was für eine Umwandlung war das! Wie wurden die schönen, strahlenden Augen der Duchezza so trüb und lichtlos nach der verhängnisvollen Kunde, die ihr der Marchese R. mitteilte! Fabrizzio muß es wohl wert sein, geliebt zu werden!‹
Mitten in diesen tiefernsten Betrachtungen, die Clelias Seele ganz erfüllten, kamen ihr die geschwätzigen Schmeichler, die sie immerfort umschwärmten, noch abscheulicher vor als sonst. Um sich ihrer zu entledigen, trat sie an ein offenes Fenster, dessen seidener Vorhang halb heruntergelassen war. Sie hoffte, in diesen Schlupfwinkel ihr zu folgen, werde niemand sich getrauen. Das Fenster ging nach einem kleinen Orangenhain unter freiem Himmel, der allerdings jeden Winter durch ein Dach geschützt werden mußte. Mit Entzücken atmete Clelia den Duft der Orangenblüten ein, und dieses Labsal beruhigte ihre Seele ein wenig. ›Er hat ein überaus edles Wesen,‹ dachte sie, ›aber in einer so hervorragenden Frau eine solche Leidenschaft wachzurufen! Man rühmt ihr nach, sie habe die Huldigungen von Serenissimus abgewiesen. Wenn sie ihn erhört hätte, wäre sie die Königin seines Landes. Mein Vater hat erzählt, die Leidenschaft des Fürsten sei so weit gegangen, daß er sie geheiratet hätte, wenn er je frei geworden wäre. Und ihre Liebe zu Fabrizzio währt schon so lange! Denn es ist doch fünf Jahre her, daß wir
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