Die Kartause von Parma
Zeit unserer Rache kommt. Er soll nicht eher sterben, als bis ich Ihnen das Zeichen dazu gebe. Wenn er zum Beispiel jetzt stürbe, so wäre das, statt nützlich, im Gegenteil nur unheilvoll. Wahrscheinlich darf sein Tod erst nach mehreren Monaten erfolgen; aber er wird erfolgen. Ich will, daß er an Gift stirbt, und ich ließe ihn lieber am Leben, als daß ich sehen müßte, wie ihn eine Kugel tötet. Aus Gründen, die ich Ihnen nicht auseinandersetzen will, verlange ich, daß Ihr Leben gerettet wird.«
Ferrante war über diesen gebieterischen Ton der Duchezza entzückt; seine Augen funkelten vor tiefer Freude. Wie schon gesagt, war er schrecklich mager, aber man sah, daß er in seiner Jugend sehr schön gewesen war.Er glaubte, er sei noch so wie einst. ›Bin ich ein Narr,‹ sagte er zu sich, ›oder wird die Duchezza mich eines Tages wohl zum glücklichsten Mann machen, wenn ich ihr meine Ergebenheit bewiesen habe? Und warum auch nicht? Wiege ich denn nicht diesen Harlekin auf, den Grafen Mosca, der es nicht einmal fertiggebracht hat, Monsignore Fabrizzio entwischen zu lassen?‹
»Ich kann seinen Tod schon morgen wollen«, fuhr die Duchezza in demselben gebieterischen Ton fort. »Sie kennen den riesigen Wasserbehälter an der Ecke des Palazzos, neben dem Versteck, das Sie zuweilen benutzt haben. Es gibt eine geheime Vorrichtung, durch die man sein ganzes Wasser auf die Straße fließen lassen kann. Nun, das soll mein Zeichen zur Rache sein! Wenn Sie in Parma sind, sehen Sie es selbst; sind Sie im Walde, dann werden Sie davon erzählen hören, daß der große Wasserbehälter im Palazzo Sanseverina ausgelaufen ist. Handeln Sie alsdann, aber durch Gift, und bringen Sie vor allem Ihr Leben so wenig wie möglich in Gefahr! Niemand soll wissen, daß ich bei dieser Sache die Hand im Spiel habe.«
»Worte sind unnötig«, antwortete Ferrante mit schlecht verhehltem Feuer. »Ich bin mir bereits über die Mittel klar, die ich anwenden will. Das Leben dieses Mannes wird mir verhaßter denn je sein, da ich nicht wagen darf, Sie wiederzusehen, solange er am Leben ist. Ich harre des Zeichens, daß der Wasserbehälter über die Straße ausläuft.«
Er empfahl sich ungestüm und ging. Die Duchezza schaute ihm nach. Als er im Nebenzimmer war, rief sie ihn zurück.
»Ferrante!« rief sie. »Erhabener Mann!«
Er kehrte um, fast unwillig darüber, daß er zurückgehalten wurde. Sein Gesicht war in diesem Augenblick herrlich.
»Und Ihre Kinder?«
»Gnädige Frau, sie werden reicher sein als ich. Vielleicht setzen Sie ihnen ein kleines Jahresgeld aus.«
»Halt!« sagte die Duchezza zu ihm und händigte ihm ein Kästchen aus Olivenholz ein. »Hier sind alle meine Diamanten, die ich noch habe. Sie sind fünfzigtausend Franken wert.«
»Ach, gnädige Frau, Sie demütigen mich!« sagte Ferrante mit einer Geste des Grauens. Sein Gesicht hatte sich völlig verändert.
»Ich werde Sie vor der Tat nicht wiedersehen. Nehmen Sie! Ich will es!« fuhr die Duchezza mit einer hoheitsvollen Stimme fort, die Ferrante verstummen ließ. Er steckte das Kästchen in seine Tasche und ging.
Er hatte die Tür bereits geschlossen, als die Duchezza ihn von neuem zurückrief. Mit ärgerlicher Miene kehrte er abermals um. Die Duchezza stand mitten im Saal. Sie warf sich ihm in die Arme. Einen Atemzug lang verging Ferrante beinahe vor Glück. Die Duchezza entwand sich seiner Umarmung und deutete mit den Augen nach der Tür.
›Das ist der einzige Mensch, der mich verstanden hat!‹ dachte sie. ›Geradeso hätte sich Fabrizzio benommen, wenn er mich hätte hören können.‹
Dem Charakter der Duchezza war zweierlei eigentümlich. Was sie einmal wollte, dabei blieb sie; was einmal entschieden war, darüber gab sie sich nie Grübeleien hin. In diesem Sinne pflegte sie ein Wort ihres ersten Gatten, des liebenswürdigen Generals Pietranera, zu wiederholen: ›Was für eine Beleidigung gegen mich selber! Warum soll ich mir einbilden, ich hätte heute mehr Verstand als damals, als ich mich dazu entschlossen habe?‹
Von diesem Augenblick an gewann eine Art Heiterkeit im Wesen der Duchezza wieder die Oberhand. Vor dem verhängnisvollen Entschluß hatte sie bei jedem Schritte, den ihr Geist vorwärts dachte, bei jeder Neuigkeit, die sie erfuhr, das Gefühl gehabt, Serenissimus unterlegen zu sein, ein Gefühl von Schwäche und Betrogensein. Sie bildete sich ein, der Fürst habe sie feig hintergangen und Graf Mosca habe ihm durch seine Höflingsnatur,
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