Die Kartause von Parma
in petto habe.
»Wenn man mich aber infolge meiner Unvorsichtigkeit aufhängt,« sagte Ferrante feierlich, »dann werden alledie Schurken, die das Volk so schädigen, noch lange Jahre leben. Und wer ist schuld daran? Was wird mir mein Vater sagen, wenn er mich da droben wiedertrifft?«
Die Duchezza erinnerte ihn an seine kleinen Kinder, die in der feuchten Hütte todkrank würden. Schließlich nahm er den angebotenen Schlupfwinkel in Parma an.
Der Duca di Sanseverina hatte an dem einzigen halben Tage, den er nach seiner Verheiratung in Parma zugebracht hatte, der Duchezza ein höchst merkwürdiges Versteck gezeigt, das die Südecke des Palazzos Sanseverina barg. Die aus dem Mittelalter herrührende Mauer der Straßenseite war acht Fuß stark; man hatte sie im Inneren ausgehöhlt, und so befand sich in ihr ein Versteck, das zwanzig Fuß hoch, aber nur zwei Fuß breit war. Daneben lag jener viel bewunderte Wasserbehälter, der in allen Reisewerken angeführt ist, ein berühmtes Bauwerk des dreizehnten Jahrhunderts. Er hatte zur Zeit der Belagerung von Parma durch Kaiser Sigismund eine Rolle gespielt und war später in den Palazzo Sanseverina eingegliedert worden. In diesen Schlupfwinkel gelangt man, wenn man einen Riesenquader um seine eiserne Achse dreht.
Die Duchezza war von dem närrischen Wesen Ferrantes und dem Schicksal seiner Kinder, für die er jedes Geschenk von Wert halsstarrig zurückwies, so innig gerührt, daß sie ihm die Benutzung jenes Versteckes auf längere Zeit gestattete. Vier Wochen später sah sie ihn wieder. Er hauste noch immer in den Wäldern von Sacca, war aber ein wenig ruhiger als früher. Er trug ihr eines seiner Sonette vor, das sie allem ebenbürtig dünkte, wenn nicht erhabener als alles, was man seit zwei Jahrhunderten in Italien Schönes gedichtet hatte. Ferrante brachte noch mehrere Zusammenkünfte zuwege, aber seine Liebe verwirrte ihm den Kopf; er ward zudringlich, und die Duchezza erkannte, daß seine Leidenschaft sich entwickelte wie eben jede Liebe, der man ein Fünkchen Hoffnungläßt. Sie schickte ihn in seine Wälder zurück und verbot ihm, sie anzusprechen. Er gehorchte ohne weiteres und mit größter Willfährigkeit.
So standen die Dinge, als Fabrizzio in Gefangenschaft geriet. Drei Tage darauf erschien bei Anbruch der Nacht ein Kapuziner am Tore des Palazzos Sanseverina. Er sagte, er habe der Herrin des Hauses ein wichtiges Geheimnis mitzuteilen. Sie fühlte sich so unglücklich, daß sie ihn vorließ; es war Ferrante.
»Es ist hier eine neue Freveltat im Gange,« sagte der verliebte Kauz zur Duchezza, »wovon der Volksvertreter Kenntnis nehmen muß. Freilich bin ich nur ein einfacher Privatmann; ich kann der Duchezza di Sanseverina nichts geben als mein Leben, und das weihe ich ihr.«
Die so aufrichtige Ergebenheit eines Räubers und Narren rührte die Duchezza tief. Lange redete sie mit diesem Menschen, der für den größten Dichter Oberitaliens galt, und weinte heftig. ›Das ist einer,‹ sagte sie sich, ›der mein Herz versteht!‹
Am anderen Tage erschien er um das Ave-Maria wieder, als Diener in Livree verkleidet.
»Ich habe Parma gar nicht verlassen. Ich habe etwas Entsetzliches gehört, das meine Lippen nicht wiederholen können. Aber hier bin ich. Gnädige Frau, bedenken Sie, was Sie abschlagen! Das Wesen, das vor Ihnen steht, ist kein Hofschranze; es ist ein Mann!« Er lag auf den Knieen und brachte diese Worte in einem Tone heraus, der sie feierlich machte. »Gestern habe ich mir gesagt,« fuhr er fort, »sie hat in meiner Gegenwart geweint, also ist sie nicht mehr ganz unglücklich!«
»Aber bedenken Sie doch, was für Gefahren Sie umgeben! Man wird Sie hier in der Stadt festnehmen!«
»Der Volksvertreter wird Ihnen sagen: Gnädige Frau, was gilt das Leben, wenn die Pflicht ruft? Und der Unglückliche, der zu seinem Schmerz kein leidenschaftliches Gefühl mehr für die Tugend hat, seit er in Liebe entflammt ist, wird hinzufügen: Frau Duchezza, Fabrizzio,ein beherzter Mann, ist von Gefahr bedroht. Stoßen Sie einen anderen beherzten Mann nicht zurück, der sich Ihnen zur Verfügung stellt! Hier ist ein Körper von Eisen und eine Seele, die nichts in der Welt fürchtet als Ihre Ungnade.«
»Wenn Sie mir weiter von Ihren Gefühlen sprechen, verschließe ich Ihnen meine Tür auf immer!«
Die Duchezza hatte zwar die Absicht, Ferrante an jenem Abend zu eröffnen, daß sie seinen Kindern ein kleines Jahresgeld aussetzen wolle, aber sie hatte Angst,
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