Die Kartause von Parma
eine genügende Anzahl weiterer Seile geschickt unter ihren Kleidern verborgen tragen. Man sieht, der Verstand der Duchezza war, seit sie sich ernstlich mit Fabrizzios Flucht abgab, vollkommen überspannt. Der Gefahr, in der dieses geliebte Wesen schwebte, war ihr Geist nicht gewachsen; sie dauerte auch allzu lange. Wie man sehen wird, hätte ihre übertriebene Vorsicht beinahe die Flucht vereitelt.
Alles vollzog sich wie geplant, nur mit einer einzigen Ausnahme: das Schlafmittel wirkte zu kräftig. Alle Welt, selbst die Ärzte glaubten, den General hätte wirklich der Schlag gerührt.
Zum Glück hatte Clelia nicht die leiseste Ahnung von dem verbrecherischen Anschlag der Duchezza. In der Zitadelle herrschte in dem Augenblick, als die Tragbahre mit dem halbtoten General ankam, ein derartiger Wirrwarr, daß Ludovico und seine Leute ungehindert eingelassen wurden. Auf der Sklavenbrücke wurden sie nur oberflächlich durchsucht. Nachdem sie den General bis in sein Bett getragen hatten, führte man sie in die Bedientenstube, wo sie von den Lakaien aufs beste verpflegt wurden. Aber nach diesem Schmause, der erst sehr spät gegen Morgen endete, bedeutete man ihnen, die Gefängnisvorschrift erheische es, daß sie für den Rest der Nacht im Erdgeschoß der Kommandantur eingeschlossen würden. Sie würden am anderen Morgen durch den Stellvertreter des Kommandanten wieder freigelassen werden.Diese Leute hatten es fertiggebracht, Ludovico die von ihnen eingeschmuggelten Seile zuzustecken; aber Ludovico erreichte es nur unter großen Schwierigkeiten, daß Clelia ihn einen Augenblick anhörte. Schließlich legte er, als sie gerade von einem Zimmer in ein anderes ging, die Pakete mit den Seilen in die dunkle Ecke eines Salons im ersten Stock, so daß sie es bemerken mußte. Clelia war über dieses seltsame Beginnen heftig betroffen und schöpfte sofort Verdacht.
»Wer sind Sie?« fragte sie Ludovico. Auf seine sehr unklare Antwort fuhr sie fort: »Ich müßte Sie festnehmen lassen, Sie und Ihre Helfershelfer! Sie haben meinen Vater vergiftet! Gestehen Sie auf der Stelle ein, was für ein Gift Sie verwendet haben, damit der Arzt der Zitadelle das richtige Gegengift verschreiben kann! Gestehen Sie das auf der Stelle ein, oder Sie und Ihre Spießgesellen kommen nie wieder aus der Zitadelle heraus!«
»Signorina beunruhigt sich zu Unrecht«, entgegnete Ludovico mit Anstand und Höflichkeit. »Es handelt sich durchaus nicht um Gift. Man hat dem Herrn General unklugerweise eine Dosis Laudanum beigebracht, und wahrscheinlich hat der mit diesem Frevel beauftragte Lakai ein paar Tropfen zuviel ins Glas gegossen. Wir werden uns deswegen ewig Vorwürfe machen. Aber Signorina können überzeugt sein, daß Gott sei Dank keine Gefahr besteht. Der Herr Kommandant muß so behandelt werden, als habe er aus Versehen etwas zuviel Laudanum eingenommen. Ich habe die Ehre, Signorina, zu wiederholen: Der mit dem Frevel beauftragte Lakai hat keinesfalls wirkliches Gift verwendet, – nicht wie Barbone, als er den Monsignore Fabrizzio vergiften wollte. Man hat durchaus nicht danach getrachtet, Monsignore Fabrizzio für die überstandenen Gefahren zu rächen; man hat dem betreffenden Diener nichts in die Hände gegeben als eine Phiole, in der Laudanum war. Das beschwöre ich, Signorina! Aber wohlgemerkt, sollte ich amtlich vernommen werden, so werde ich alles leugnen.
Wenn Signorina übrigens, zu wem es auch sei, und wenn es Seine Ehrwürden Don Cesare wären, von Laudanum und von Gift reden, dann stirbt Fabrizzio durch die Hand von Signorina. Dann machen Sie auf immer alle Fluchtversuche unmöglich. Signorina wissen ja besser als ich, daß es nicht harmloses Laudanum ist, mit dem man den Monsignore vergiften will. Sie wissen wohl auch, daß ein gewisser Jemand der Vergiftung nur einen Monat Aufschub gegeben hat und daß schon mehr als eine Woche verstrichen ist, seit dieser verhängnisvolle Befehl ergangen ist. Wenn Signorina mich verhaften lassen oder auch nur ein einziges Wort an Don Cesare oder sonst jemanden verraten, dann hemmen Sie alle unsere Unternehmungen auf wer weiß wie lange, und ich kann mit Recht sagen, Signorina morden Fabrizzio mit eigener Hand!«
Clelia war über Ludovicos unheimliche Ruhe erschrocken.
›So bin ich in regelrechter Unterhaltung mit dem Giftmörder meines Vaters!‹ sagte sie sich. ›Und was verführt mich zu allen diesen Verbrechen? Die Liebe! –‹
Vor Reue hatte sie kaum die Kraft, zu sprechen. Sie sagte zu
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