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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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wollten. Ich aber, ich setze zum ersten mein Leben aufs Spiel. Zum zweiten: gnädige Frau, denken Sie an die Gefühle, die ich habe, wenn ich auf Raub ausgehe. ›Bin ich auf dem rechten Wege?‹ So frage ich mich. Leistet hier ein Volksvertreter wirklich Dienste, die hundert Franken im Monat wert sind? Ich besitze zwei Hemden, den Rock, den ich trage, ein paar schlechte Waffen, und ich ende sicherlich am Galgen. Gleichwohl wage ich zu glauben, daß ich uneigennützig bin. Ich wäre glücklich ohne die verhängnisvolle Leidenschaft, die mich in der Nähe der Mutter meiner Kinder nur noch unglücklich sein läßt. Die Armut drückt mich nieder wie die Häßlichkeit. Ich liebe schöne Kleider, weiße Hände...«
    Er blickte so auf die Hände der Duchezza, daß sie Angst bekam.
    »Leben Sie wohl, mein Herr!« sagte sie zu ihm. »Kann ich Ihnen in Parma irgendwie nützlich sein?«
    »Legen Sie sich bisweilen folgende Frage vor: ›Sein Beruf ist es, die Herzen zu erwecken und sie zu hindern, daß sie in jenem unwahren, rein materiellen Glück einschlummern, das die Monarchieen gewähren. Ist der Dienst, den er seinen Mitbürgern leistet, nicht hundert Franken im Monat wert?‹ – Mein Unglück ist meine Liebe«, fuhr er in sehr weichem Tone fort. »Seit fast zwei Jahren ist meine Seele nur von Ihnen erfüllt, aber bis zu dieser Stunde habe ich Sie gesehen, ohne Ihnen Furcht einzuflößen.«
    Damit verschwand er mit fabelhafter Schnelligkeit, die die Duchezza in Staunen versetzte und sie beruhigte. ›Die Gendarmen werden Mühe haben, ihn zu erwischen‹, dachte sie. ›Bei Gott, er ist ein Narr!‹
    »Er ist ein Narr«, bestätigten ihre Leute. »Wir wissen lange, daß der arme Mensch in die gnädige Frau verliebt ist. Wenn die gnädige Frau hier weilt, sehen wir ihn in den entlegensten Winkeln der Wälder umherirren, aber wenn die gnädige Frau abreist, dann kommt er dreist und setzt sich auf Ihre Lieblingsplätze. Eifrig sammelt er die Blumen, die einem Strauß der gnädigen Frau entfallen sein könnten, und trägt sie lange an seinem schäbigen Hute.«
    »Und ihr habt mir nie von diesen Verrücktheiten erzählt?« fragte die Duchezza beinahe vorwurfsvoll.
    »Wir fürchteten, die gnädige Frau würde es dem Minister Mosca erzählen. Der arme Ferrante ist ein so guter Kerl! Der tut keinem Menschen etwas zuleide, und nur weil er unsern Napoleon liebt, hat man ihn zum Tode verurteilt.«
    Die Duchezza erwähnte vor dem Minister keine Silbe von dieser Zusammenkunft, und da das seit vier Jahren ihr erstes Geheimnis vor ihm war, so mußte sie oft mitten im Satz abbrechen. Als sie wieder nach Sacca ging, nahm sie Gold mit; aber Ferrante erschien nicht. Vierzehn Tage darauf kam sie abermals. Ferrante war ihr eine Weile hundert Schritt seitwärts durch den Wald nachgegangen,schoß dann blitzschnell wie ein Sperber auf sie los und warf sich ihr wie das erste Mal zu Füßen.
    »Wo haben Sie vor vierzehn Tagen gesteckt?«
    »In den Bergen jenseits Novi, um Maultiertreiber auf ihrem Rückweg von Mailand zu überfallen, wo sie Öl verkauft hatten.«
    »Nehmen Sie diese Börse!«
    Ferrante öffnete sie, nahm eine Zechine heraus, die er küßte und an seinem Busen verbarg, und gab die Börse zurück.
    »Sie geben mir diese Börse wieder, und Sie sind Räuber!«
    »Kein Zweifel. Mein Grundsatz ist der: Nie darf ich mehr als hundert Franken besitzen. Nun hat die Mutter meiner Kinder augenblicklich achtzig Franken, und ich habe ihrer fünfundzwanzig, also besitze ich zu Unrecht fünf Franken. Wenn man mich zur Stunde aufhängte, würde ich Gewissensbisse haben. Ich nehme diese Zechine, weil sie von Ihnen kommt und weil ich Sie liebe.«
    Der Tonfall dieser schlichten Worte war unvergleichlich. ›Er liebt wirklich‹, sagte sich die Duchezza. An diesem Tage hatte er ein ganz verstörtes Aussehen. Er erklärte, es gäbe in Parma Leute, die ihm sechshundert Franken schuldeten. Mit dieser Summe könnte er seine Hütte ausbessern, in der seine Kinder sich jetzt erkälteten.
    »Ich werde Ihnen diese sechshundert Franken vorschießen«, sagte die Duchezza tief bewegt.
    »Aber dann könnten meine Gegner mich, eine öffentliche Persönlichkeit, verleumden und mir nachsagen, ich hätte mich verkauft.«
    Die Duchezza bot ihm gerührt einen Schlupfwinkel in Parma an, wenn er ihr schwören wolle, daß er vorderhand ganz und gar nichts als Richter und Rächer unternähme. Vor allem dürfe er keines der Todesurteile vollstrecken, die er, wie er sagte,

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