Die Kartause von Parma
dauernd voller Leute, die auf den Augenblick warteten, dem jungen Koadjutor ihre Aufwartung zu machen. Die Aussicht seiner einstigen Nachfolge hatte im Lande Wunder bewirkt. Man legte nun alle Züge von Charakterfestigkeit, die ehedem die armseligen und einfältigen Höflinge so sehr entrüstet hatten, als Tugenden aus.
Es war für Fabrizzio eine eindringliche philosophische Lehre, daß er so ganz und gar unempfänglich war für alle die Ehrungen, in seiner großartigen neuen Wohnung mit zehn Dienern in eigener Tracht, und daß er um so vieles unglücklicher war als einst in seinem Holzkäfig in der Torre Farnese, wo ihn widerliche Aufseher umgaben und er stündlich für sein Leben fürchten mußte. Seine Mutter und seine Schwester, die Principessa Dotti, die ihn in Parma besuchten, um ihn in seinem Glanze zu sehen, waren über seinen tiefen Trübsinn erschrocken. Die Marchesa del Dongo, jetzt eine nichts weniger als romantische Dame, beunruhigte sich deswegen so sehr, daß sie glaubte, man habe ihm in der Torre Farnese ein schleichendes Gift eingegeben. Obwohl sie höchst ungern in Geheimnisse drang, fühlte sie sich verpflichtet, mit ihm über diese seltsame Schwermut zu sprechen, und Fabrizzio hatte nur Tränen als Antwort.
Eine Menge von Vorteilen, Folgen seiner glänzenden Stellung, brachten keine andere Wirkung auf ihn hervor, als daß sie ihn mißlaunig machten. Sein Bruder, diese eitle und von gemeinster Selbstsucht verdorbene Seele, schrieb ihm einen fast offiziellen Glückwunschbrief, dem eine Anweisung auf fünfzigtausend Franken beigefügt war, damit er sich Pferde und einen seines Namens würdigen Wagen anschaffen könne, wie sich der neue Marchese ausdrückte. Fabrizzio schenkte diese Summe seiner jüngsten Schwester, die arm verheiratet war.
Graf Mosca hatte eine schöne italienische Übersetzung der Chronik der Familie Valserra del Dongo nach dem lateinischen Original Fabrizzios, weiland Erzbischofs von Parma anfertigen lassen. Er ließ sie in einer Prachtausgabe drucken, mit dem lateinischen Text gegenüber. Die Stiche waren durch ausgezeichnete, in Paris hergestellte Steinzeichnungen ersetzt. Einem Wunsch der Duchezza gemäß war als Gegenstück zu dem Bildnis des alten Erzbischofs ein schönes Porträt ihres Neffen beigefügt. Diese Übersetzung wurde als Arbeit Fabrizzios während seiner ersten Gefangenschaft veröffentlicht. Aber alles das prallte spurlos an unserem Helden ab; sogar die dem Menschen angeborene Eitelkeit war in ihm erstorben. Es fiel ihm nicht ein, auch nur eine einzige Zeile des ihm zugeschriebenen Werkes zu lesen. Seine gesellschaftliche Stellung verpflichtete ihn, ein prächtig eingebundenes Exemplar dem Fürsten zu überreichen. Ernst V. glaubte ihm eine Entschädigung für die ausgestandene Todesgefahr zu schulden und erteilte ihm die Zutrittsbefugnis zu seinen inneren Gemächern, eine Gunst, die mit dem Titel Eccellenza verknüpft ist.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Die einzigen Augenblicke, in denen Fabrizzio seinen Gram zu überwinden vermochte, waren die, die er, hinter jenem Fenster verborgen, dessen Ölpapier er hattedurch eine Scheibe ersetzen lassen, in seinem Stübchen gegenüber dem Palazzo Contarini zubrachte, wo, wie wir wissen, Clelia ihre Zuflucht gefunden hatte. Er war ihrer nur wenige Male seit Verlassen der Zitadelle ansichtig geworden, aber jedesmal hatte ihn ihre auffällige Veränderung tief betrübt; sie schien ihm von schlimmster Vorbedeutung. Seit ihrem Fehltritt hatte ihr Gesicht einen Ausdruck von edlem, innigem Ernst angenommen. Man konnte sagen, sie sah wie dreißig Jahre alt aus. Hinter diesem merkwürdigen Wandel stand offenbar ein unerschütterlicher Entschluß.
›Ach, in allen Augenblicken ihres Lebens‹, sagte sich Fabrizzio, ›schwört sie sich, treu das Gelübde zu halten, das sie der Madonna dargebracht hat: mich nie wiederzusehen.‹
Fabrizzio erriet Clelias Qualen nur zur Hälfte. Sie wußte, daß ihr Vater, der völlig in Ungnade gefallen war, erst am Tage ihrer Hochzeit mit dem Marchese Crescenzi nach Parma zurückkehren und wieder bei Hofe erscheinen durfte, und das war für ihn Lebensbedingung. Sie schrieb ihrem Vater, daß sie zur Hochzeit bereit sei. Der General hatte sich nach Turin geflüchtet und war krank vor Kummer. Tatsächlich war es der Rückschlag dieses bedeutsamen Entschlusses, der sie zehn Jahre älter gemacht hatte.
Clelia hatte sehr wohl bemerkt, daß Fabrizzio gegenüber dem Palazzo Contarini ein Fenster inne
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