Die Kartause von Parma
Anfang an so viel zu erzählen hatten, mußte lange dauern. Fabrizzio berichtete ihr den genauen Hergang der Verbannung ihres Vaters. Die Duchezza sei nicht im geringsten bei dieser Angelegenheit beteiligt, aus dem einfachen Grunde, weil sie keinen Augenblick angenommen habe, daß der Vergiftungsplan von General Conti ausgehe; sie habe nie bezweifelt, daß es ein Streich der Partei Raversi sei, um den Grafen Mosca zu stürzen. Diese lang und breit erläuterte historische Tatsache machte Clelia sehr glücklich. Sie war untröstlich, jemanden hassen zu müssen, der zu Fabrizzio gehörte. Jetzt blickte sie nicht mehr mit den Augen der Eifersucht auf die Duchezza.
Das an diesem Abend begonnene Glück währte nur wenige Tage. Der treffliche Don Cesare kam aus Turin an. Mit der Kühnheit eines grundanständigen Herzens wagte er, der Duchezza einen Besuch zu machen. Nachdem er sie um ihr Wort gebeten hatte, sein Vertrauen in keiner Weise zu mißbrauchen, gestand er ihr, sein Bruder habe, von falschen Ehrbegriffen verleitet, geglaubt, daß er durch Fabrizzios Flucht im öffentlichen Ansehen tief herabgesetzt und erledigt sei, und es für seine Pflicht gehalten, sich zu rächen.
Don Cesare hatte keine zwei Minuten gesprochen, da war seine Sache gewonnen. Seine lautere Ehrbarkeit hatte die Duchezza gerührt. Derlei war ihr etwas Ungewöhnliches; es gefiel ihr wie etwas Neues.
»Beschleunigen Sie die Hochzeit der Tochter des Generals mit dem Marchese Crescenzi, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich alles tun will, was in meiner Macht steht, damit der General empfangen wird, als käme er von einer Reise. Ich werde ihn zu Tisch einladen. Sind Sie zufrieden? Zweifellos wird er zu Anfang etwas kühl behandelt werden, und keinesfalls darf er allzu eilig um seinen alten Posten in der Zitadelle nachsuchen. Aber Sie wissen, ich halte Freundschaft mit dem Marchese, und ich werde keinen Groll gegen seinen Schwiegervater bewahren.«
Auf diese Zusagen gestützt, erklärte Don Cesare seiner Nichte, das Leben ihres Vaters ruhe in ihren Händen. Er sei krank vor Kummer. Seit mehreren Monaten habe er an keinem Hofe verkehrt.
Clelia entschloß sich, ihren Vater in seiner Verbannung zu besuchen. Er hielt sich unter einem falschen Namen in einem Dorf bei Turin auf, in dem Wahne, der Hof von Parma unterhandle mit dem von Turin wegen seiner Auslieferung, um ihn vor Gericht zu stellen. Clelia fand ihn leidend und fast geistig gestört. Am selben Abend schrieb sie an Fabrizzio einen Brief, in dem sie auf ewig mit ihm brach.
Nach Empfang dieses Briefes zog sich Fabrizzio, der ganz ähnliche Charaktereigenschaften entwickelte wie seine Geliebte, ins Kloster Velleia zurück, das zehn Meilen westlich von Parma im Gebirge liegt. Ihr Brief war zehn Seiten lang. Sie hatte ihm einst geschworen, nie ohne seine Einwilligung zu heiraten. Jetzt bat sie ihn darum, und Fabrizzio gewährte sie ihr aus der Klause seines Retiros von Velleia in einem Brief voll der reinsten Freundschaft.
Als Clelia diese Antwort erhielt, an der sie der Ausdruck Freundschaft, wie eingestanden werden muß, erzürnte, setzte sie selbst den Tag ihrer Hochzeit fest, deren Feier den Glanz noch erhöhen sollte, in dem der Hof von Parma in jenem Winter erstrahlte.
Ranuccio Ernesto V. war im Grunde geizig, aber er war bis über die Ohren verliebt und hoffte, die Duchezza an seinen Hof zu fesseln. Er bat seine Mutter, eine sehr beträchtliche Summe anzunehmen und zu Festlichkeiten zu verwenden. Die Oberhofmeisterin verstand diese Vermehrung der Mittel in bewundernswürdiger Weise auszunutzen. Die Festlichkeiten dieses Winters in Parma erinnerten an die schönen Tage des Mailänder Hofes und an den liebenswürdigen Fürsten Eugen, den Vizekönig von Italien, dessen Milde ein so nachhaltiges Andenken hinterlassen hat.
Fabrizzios Pflichten als Koadjutor riefen ihn nach Parma zurück, aber er erklärte, er wolle aus frommen Gründen sein Retiro in der kleinen Wohnung fortsetzen, die ihm sein Gönner, der Monsignore Landriani, im erzbischöflichen Palast aufgenötigt hatte. Er schloß sich dort ein; nur ein einziger Diener war um ihn. So kam es, daß er an keinem der so glänzenden Hoffeste teilnahm, ein Umstand, der ihn in Parma und in seiner künftigen Diözese in den Geruch ungeheuerer Heiligkeit brachte. Dieses Retiro hatte eine unerwartete Wirkung. Obwohl Fabrizzio lediglich aus tiefer Schwermut und Hoffnungslosigkeit ins Kloster gegangen war, wurde der gute Erzbischof Landriani, der
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