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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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hatte, aber sie hatte nur einmal das Unglück gehabt, ihn zu erblicken. Sobald sie nur ein Stück Kopf oder Umrisse sah, die ein wenig den seinen ähnelten, schloß sie sofort die Augen. Ihre tiefe Frömmigkeit und ihr Vertrauen auf die Madonna waren fortan ihre einzige Stütze. Zu ihrem Schmerz empfand sie vor ihrem Vater keine Achtung; der Charakter ihres künftigen Gatten erschien ihr durch und durch seicht, sein Empfinden als das eines Höflings. Und schließlich betete sie einen Mann an, den sie niemals wiedersehen durfte und der doch Rechte auf sie hatte. Diese Schicksalsverkettungkam ihr als Inbegriff des Unglücks vor, und wir müssen gestehen, daß sie sich nicht täuschte. Sie hätte nach ihrer Hochzeit tausend Meilen von Parma entfernt leben müssen.
    Fabrizzio kannte Clelias tiefe Züchtigkeit; er wußte, wie sehr ihr jeder außergewöhnliche Schritt mißfallen mußte, der, wenn er bekannt wurde, sie ins Gerede bringen konnte. Trotzdem trieben ihn seine grenzenlose Schwermut und Clelias beständig von ihm abgewandte Blicke zum Äußersten. Er wagte es, zwei Diener der Gräfin Contarini, ihrer Tante, zu bestechen. Eines Tages, bei Einbruch der Nacht, fand er sich als Landmann verkleidet am Tor des Palazzos ein, wo ihn einer der bestochenen Diener erwartete. Er ließ anmelden, er käme von Turin und brächte dem gnädigen Fräulein Briefe von ihrem Vater. Der Diener richtete diese Bestellung aus und führte ihn in ein riesiges Vorzimmer im ersten Stock des Hauses. Dort verlebte Fabrizzio die vielleicht angstvollste Viertelstunde seines Lebens. Wenn Clelia ihn abwies, so gab es für ihn keine Hoffnung mehr auf Frieden. ›Um der lästigen Sorgen schnell ledig zu werden, mit denen mich meine neue Würde überhäuft, werde ich die Kirche von einem schlechten Diener befreien und meine Zuflucht unter einem angenommenen Namen in irgendeiner Kartause suchen.‹ Endlich meldete ihm der Diener, Signorina Clelia sei bereit, ihn zu empfangen. Mit einem Male fehlte unserem Helden jeglicher Mut. Er war nahe daran, vor Angst umzusinken, als er die Treppe zum zweiten Stock hinaufstieg.
    Clelia saß an einem kleinen Tisch, auf dem eine einzige Kerze brannte. Kaum hatte sie Fabrizzio unter seiner Verkleidung erkannt, als sie zurückwich und sich in einem Winkel des Zimmers verbarg.
    »Also so sorgen Sie für mein Seelenheil!« rief sie ihm zu und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Sie wissen doch: als mein Vater wegen des Giftes dem Tode nahe war, habe ich der Madonna gelobt, Sie nie wiederzusehen.Ich habe dieses Gelübde gehalten bis auf den einen Tag, den unglücklichsten meines Lebens, an dem ich mich vor meinem Gewissen für verpflichtet hielt, Sie dem Tode zu entreißen. Es ist schon viel, wenn ich Sie in gewaltsamer und zweifellos frevelhafter Auslegung meines Schwurs jetzt anhöre.«
    Über diesen letzten Satz war Fabrizzio so erstaunt, daß er einige Sekunden brauchte, ehe er sich darüber freute. Er war auf den heftigsten Zorn gefaßt gewesen und darauf, daß Clelia entfliehen werde. Schließlich fand er seine Geistesgegenwart wieder und löschte die Kerze aus. Obgleich er Clelia wohl verstanden zu haben meinte, zitterte er doch am ganzen Leibe, als er nach dem Hintergrunde des Zimmers ging, wo sie sich hinter eine Ottomane geflüchtet hatte. Er wußte nicht, ob er sie verletze, indem er ihr die Hand küßte. Sie bebte vor Liebe und warf sich ihm in die Arme.
    »Mein lieber Fabrizzio!« flüsterte sie ihm zu. »Wie lange hast du gezögert, zu kommen! Ich kann dich nur einen Augenblick sprechen, denn ich begehe zweifellos eine große Sünde. Als ich gelobte, dich nie wiederzusehen, hätte ich wohl auch versprechen müssen, nicht mit dir zu reden. Aber warum hast du den Racheplan meines armen Vaters so barbarisch vergolten? Ihn hat man doch zuerst fast vergiftet, um dein Fliehen zu erleichtern! Hättest du nicht etwas für mich tun können, die ich meinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt habe, um dich zu retten? Übrigens hast du dich nun ganz an den geistlichen Beruf gekettet. Du könntest mich nicht mehr heiraten, selbst wenn ich einen Ausweg fände, diesem gräßlichen Marchese zu entrinnen. Und dann, warum hast du bei der Prozession gewagt, mich am hell-lichten Tage sehen zu wollen und in himmelschreiender Weise das heilige Gelübde zu gefährden, das ich der Madonna dargebracht habe?«
    Fabrizzio drückte sie an sich, außer sich vor Überraschung und Seligkeit. Eine Unterhaltung, bei der sichbeide von

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